»Der Vorgang des Wanderns trägt zu einem Gefühl
psychischen und geistigen Wohlbefindens bei.« (Bruce Chatwin)
Im Jahr 2011 nach meiner Pilgerreise
nach Santiago schrieb ich einen Blog eben darüber. Zum einen war es für mich eine
wunderbare Möglichkeit, das Erfahrene nochmals zu erleben und zum anderen für
später zu dokumentieren.
Ein Blog ist wie ein Tagebuch, der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Diese – also die Öffentlichkeit – las dann auch in meiner
Geschichte. Eine der Leserin war Anneliese. Sie schrieb mir irgendwann, dass
sie - nicht nur, aber auch - durch meinen Blog den Mut fand, ihren Jakobsweg alleine
weiter zu gehen (den sie bis dahin in Etappen mit einer Freundin gepilgert war,
die nun nicht mehr mitkommen konnte).
In all den Jahren blieben Anneliese
und ich über einen Mailaustausch verbunden. Als ich ihr dann irgendwann mal
schrieb, dass ich hin und wieder in Laupheim bin, meinte sie, das sei doch bei
ihr fast um die Ecke. Und brachte den Gedanken auf, dass wir doch mal zusammen
ein Stück Jakobsweg laufen könnten, der ja hier praktisch vor der Haustür
verläuft. Gesagt war das einfach, getan dann etwas schwieriger. Immer kam etwas
dazwischen. Doch diesen Samstag war es endlich so weit. Wir hatten es nach all
den Jahren tatsächlich geschafft, einen Termin zu finden. Da konnte nicht mal
die nicht so gute Wettervorhersage die Vorfreude trüben …
Meine innere Uhr weckt mich
rechtzeitig. Wie jeden Morgen. Aufstehen und ins Bad. Während ich warte bis
Klaus auch fertig ist um mit Clyde Gassi laufen, packe ich meine Sachen
zusammen: Fotoapparat, etwas zu trinken, Vesper … .
Noch schnell frühstücken. Dann werde
ich doch fast etwas hektisch. Ich mag nicht gerne zu spät kommen und so bin ich
dann um 8.40 Uhr unterwegs auf der B30 Richtung ‚Süden‘.
In Baindt verfahre ich mich etwas,
bin dann aber vor halb zehn, wie verabredet, bei Anneliese. Ein kurzes erstes ‚beschnuppern‘.
Wir kennen uns zwar schon ein paar Jahre, aber eben nur über das Internet,
nicht persönlich. Aber sie weiß das ich eine ‚alte Kaffeetante‘ bin und so gibt
es erstmal ein Tässchen Koffein, dazu eine Stück Tarte de Santiago. Den hatte
sie gerade frisch aus Spanien mitgebracht. Sehr lecker, aber sehr süß. Doch ein
bisschen Energiezufuhr schadet ja nicht, wenn man einen Wandertag vor sich hat.
Wir quatschen gleich munter drauf
los, kennen uns eben doch schon etwas länger. Aber wir wollen ja ‚pilgern‘
gehen und so reißen wir uns wenig später vom Kaffeetisch los und machen wir uns
auf den Weg. Das heißt erstmal auf die Straße, mit dem Auto nach Meckenbeuren.
Hier tausche ich die Straßenschuhe mit meinen Wanderschuhen und wir ziehen los.
Erstes Ziel Brochenzell, das ja nur einen
Kilometer weiter liegt. Aber in der hiesigen Kirche – das erinnere ich vom
Sommer – gibt es eine Jakobusstatue, ein Buch für Einträge und einen Stempel.
Und schon sind wir wieder unterwegs. Wir unterhalten uns so angeregt, dass wir
plötzlich in einer Wohnstraße stehen, die in einer Sackgasse endet. Hm.
Zwei kleine Mädchen (5 und 3
vielleicht), die in einer Garageneinfahrt spielen, grinsen uns an. Die ältere
«Was macht ihr?« – »Wir wandern.« – »Auf dem Jakobusweg?« – »Ja.« – »Ich weiß
wo der lang geht!« – »Toll, dann kannst Du uns das ja zeigen.« – »Hier lang.«
Sprach‘s und begleitet uns stolz zurück zu Kreuzung, wo wir den Abzweiger
verpasst haben. Wir bedanken uns herzlich. Die kleinere der beiden ruft uns
noch nach: »Ich weiß das auch!« Wie süß.
Hier sei angemerkt, dass der
Jakobsweg hier wirklich gut und ausreichend ausgezeichnet ist und ein verlaufen
fast unmöglich. So bleibt es auch den ganzen Tag.
Jetzt führt der Weg aus Brochenzell
zunächst in ein Stück Wald. Der Boden ist zwar noch feucht, aber nicht nass.
Außerdem ist alles von einer dicken Laubschicht bedeckt und somit gut zu
laufen.
Wir reden fast die ganze Zeit. Haben
uns doch eine Menge zu erzählen. Natürlich auch ein Austausch über unsere
Pilgerreisen, aber auch über alle möglichen anderen Dinge. Mailen ist schon
toll, aber so persönlich sprechen, das ist doch noch mal etwas anderes.
So vergeht nicht nur die Zeit
schnell, auch merke ich kaum, wie wir vorwärtslaufen.
Unseren zweiten Stempel holen wir uns
heute in Unterteuringen. Hier ist an einer ‚Straßenecke‘ ein Jakobs-Bildstock. Umgeben
von einer hübschen Steinmauer, mit dem Hinweis es sei noch etwa 2001 km bis
Santiago, ein paar Erklärungen und einem Fach mit einem Büchlein. Dieses ist
allerdings ist schon lange nicht erneuert worden, Einträge von 2001 und
teilweise sind die Seiten auch übergekritzelt. Aber es gibt einen Stempel und
eine Bank, die wir für ein Päuschen nutzen. Anneliese erzählt noch, als sie
hier vor gut 10 Jahren entlang ging, war hinter dem Bildstock noch eine Wiese.
Jetzt steht ein modernes Haus dort und die Statue ist irgendwie ‚eingequetscht‘
und kaum sichtbar – schade.
Bald laufen wir weiter. Nun nicht
mehr im Wald, sondern zwischen Obstplantagen und Felder. Die angrenzenden
Wiesen sehen noch richtig grün aus. An den Bäumen aber ist der Herbst deutlich
zu erkennen, sie sind meist schon kahl.
Doch es ist herrlich zum Laufen. Die Temperatur
angenehm mild für November und es ist trocken.
Ein Herr Soundso, der selber
Jakobswegpilger ist, hatte irgendwann beschlossen, dass es auf dem Weg hier zu
wenig Ruhemöglichkeiten gibt. In einer ehrenamtlichen Aktion wurden dann im Frühjahr/Sommer
2015 an zwei Stellen neue Rastmöglichkeiten eingerichtet. Zum Einen ist dies
die ‚Marshallbank‘ einige Kilometer nach Unterteuring (der Name rührt von der Familie, auf deren
Grundstück die Bank steht). Wir lernen später, dass hier auch eine Grenze
verläuft, wohl die zwischen Württemberg und Baden.
Bescheidenheit ist nicht immer eine
Zier, das ist mein Gedanke, bei der zweiten Ruhebank bei Oberleimbach. In
großen Lettern prangt hierauf der Name ‚Kreidler‘, die Familie auf deren
Grundstück sie steht, was auf einem Schild auch gleich als erstes angemerkt
wird …
Nun, gerade kommt die Sonne zwischen
den Wolken hervor und wir nutzen die Bank für ein Pause. Sie liegt wirklich
schön und so danken wir dann auch in Gedanken den großzügigen Spendern und
Erbauern.
Anneliese meint, dass der Wegverlauf
in 2004 nicht so schön war wie heute. Denn wir müssen wirklich selten an
Straßen laufen oder diese überqueren.
So gelangen wir etwas später an einen
schönen kleinen Weg entlang der Brunnisach. Hier hat der Künstler Jörg Bäßler
2010 aus einem Baumstamm eine Jakobus-Skulptur geschaffen. Es gibt wohl auch
ein Wegebuch und einen Stempel. Nun, ersteres sehe ich nicht, letzteren nutzen
wir natürlich.
Kurz vor Markdorf geht es nochmal
ziemlich den Berg hinauf. Früher ist man hier an der Hauptstraße gelaufen, nun können
wir von hoch oben einen Blick auf den in der Ferne glitzernden Bodensee werfen.
Doch wir sind uns einig, ein Pilger würde für eine schönere Aussicht nicht unbedingt
einen solch anstrengenden Umweg machen (vor allem wenn man nicht nur, wie wir,
für einen Tag ein paar Kilometer läuft).
Im Ort scheinen uns dann an diesem
Samstagnachmittag die Bürgersteige schon hochgeklappt. Die Läden geschlossen
und es sind kaum Menschen zu sehen. Aber die St.-Nikolaus-Kirche ist offen und
wir werfen einen Blick hinein. Jemand ist gerade dabei, die Orgel für das
abendliche Konzert zu stimmen. Hört sich bisschen schräg an …
Da wir noch Zeit haben, bis der Zug
abfährt, machen wir uns auf die Suche nach einem Café. Dies – so habe ich schon
oft festgestellt – ist gar nicht so einfach, wenn man sich nicht auskennt. Anneliese
hat eine Idee: »Die Dame dort sieht aus, als würde sie gerne Kuchen essen, die
frage ich jetzt.« Die Frau ist sehr freundlich und kennt tatsächlich eines. Sie
weist uns den Weg. In dem überfüllten Café finden wir noch ein Plätzchen und
bestellen jeder einen Milchkaffe, der sogar für meine Verhältnisse sehr stark
ist.
Kurze Zeit später stehen wir am
Fahrkartenautomat. Dieser mag meinen 20-Euro-Schein nicht annehmen, aber zum
Glück hat Anneliese noch genug Kleingeld für die Fahrkarten. Wir stellen fest,
hier richtig was los. Ich vermute laut, dass die jungen Leute alle nach
Friedrichshafen wollen, schließlich ist es Samstag.
Wir bleiben nicht dort, sondern
steigen in den Zug nach Meckenbeuren. Ich tausche die Wanderschuhe wieder gegen
meine Turnschuhe, mit denen ich besser fahren kann.
Zurück in Baindt, wartet Heinrich, Annelieses
Mann, schon mit dem Abendessen auf uns. Tafelspitz mit Kartoffeln und Meerrettichsoße
und dazu Salat. Lecker, habe ich ewig nicht gegessen. Hungrig nach so einem
Wandertag machen wir uns dankbar darüber her. Mir fällt es richtig schwer, dann
irgendwann die schöne Unterhaltung mehr oder weniger abzubrechen. Doch gegen
halb sieben verabschiede ich mich und fahre nach Laupheim zurück. Ein
wunderschöner Pilgertag in sehr netter Gesellschaft. Ich freue mich auf eine
Wiederholung. Und hoffe, das dauert nicht wieder 5 Jahre, bis wir einen Termin
finden …