Nachdem meine erste Woche Pilgern
ausgefallen ist, geht es jetzt endlich los. Naja, noch nicht ganz. Der Tag
beginnt erstmal mit dem Klingeln des Weckers um 5.30 Uhr. Ich schaffe es auch
gleich aufzustehen. Klaus und Clyde dagegen bleiben liegen. Sie scheinen noch etwas
müde. Ich bin gut gelaunt und freue mich auf die kommenden Tage. Ein Blick aus
dem Fenster trübt die Stimmung dann allerdings etwas. Das Wetter verheißt nichts
wirklich Gutes. In der Nacht hat es angefangen zu regnen und es nieselt immer
noch. Aber die hatten doch gar keinen Regen vorhergesagt? Ist einfach kein
Verlass mehr auf die Wetterfrösche. - Nun, egal, wie es ist, wir gehen.
Aber erstmal Kaffee, Clydes Frühstück
machen und dann, als er sich aus dem Bett bequemt, mit ihm Gassi gehen und zum
Bäcker.
Klaus steht endlich auch auf und
schon scheint es wieder hektisch zu werden. Chaosgefühl. Er hat ja seinen
Rucksack gestern schon gepackt, jetzt zieht er alles wieder raus und fängt
nochmal von vorne an. Nun, mir geht es nicht viel besser. Nochmal überlegen,
was brauche ich wirklich und was nicht. Der Einzige, der schon ‚fertig‘ ist,
ist Clyde. Damit alles dabei ist, was er benötigt, habe ich seine Sachen schon
am Abend sorgfältig gepackt. Und damit wir ihn selbst in der Hektik dann nicht
etwa zuhause lassen, steht er mir die ganze Zeit unter den Füssen und im Weg.
Doch irgendwann ist es geschafft, die
Rucksäcke sind zu. Mir scheint Klaus Rucksack voller als meiner und ich
überlege, ob ich etwas vergessen habe. Aber das könnte auch daran liegen, dass
er gefühlt drei Großpackungen Müsliriegel dabei hat. Er befürchtet wohl zu
verhungern …
Sieghard (Klaus Vater) ist
überpünktlich um 7:45 Uhr da. Klaus hatte ihm eingebläut ja nicht zu spät zu
kommen. Ich wäre fertig, Klaus noch nicht ganz. Trotzdem schaffen wir es, fast
zur geplanten Uhrzeit loszukommen und sind um kurz nach acht auf dem Weg. Das
heißt erstmal auf der Straße. Wir wollen zu unserem Ausgangspunkt Ulm, ca. 20
min Autofahrt.
Es regnet immer noch als wir am
Parkplatz an den Schulen ankommen. Wir sind gestern Abend nochmal hergefahren
um zu schauen, wo wir nun loslaufen. Klar, normalerweise wäre es das Ulmer Münster,
zentral gelegen. Aber da es ab dort im Prinzip nur an Hauptstraßen durch die
Stadt und ein Wohngebiet geht, haben wir beschlossen uns das Stück zu sparen.
Gleich am Stadtrand, auf einem großen Parkplatz, hatten wir dann ein
Muschelzeichen entdeckt und dies als gutes Zeichen für einen Start befunden.
Nun stehen wir auf dem Parkplatz und
laden aus. Ein paar große Bäume bieten einigermaßen Schutz vor dem Nieselregen.
Hoffentlich hört es bald auf. Es hat zwar den Vorteil, dass es nicht allzu warm
ist, aber im Regen laufen macht einfach nicht so viel Spaß.
Sieghard wartet noch ein wenig, bis
Klaus den Wagen für Clyde zusammengebaut hat, da er sehen möchte, wie dieser dann
aussieht. Das ist auch gut so, denn wir stellen fest: es fehlt ein Teil. Und
das ist nicht ganz unerheblich, der ‚Bügel‘ zum Schieben. Wir haben ihn in der
Hektik des morgendlichen Zusammenpackens auf der Garderobe liegen lassen. Mist!
Die zwei Herren fahren also nochmal
zurück nach Laupheim, Clyde und ich warten derweil bei den Rucksäcken. Ich höre
mich denken: ‚Nun, einen Vorteil hat es, wenn alles was schief gehen könnte
gleich am Anfang passiert, dann haben wir vielleicht wenigstens den Rest der
Woche Ruhe.‘ – Da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedanken … Ich nutze die
Zeit und mache mir schon mal ein paar erste Notizen. Auch schicke ich ein
kleines Bittgebet gen Himmel, dass es aufhört zu regnen. Doch, meine Beziehung
nach oben ist einfach nicht besonders gut und so hört mir da wohl keiner zu
oder die schlafen noch. Jedenfalls nieselt es weiter. Ich ziehe die
Schutzhüllen über die Rucksäcke und lege eine große schwarze Mülltüte über
Clydes Wagen, die wir später mit Hilfe einer Sicherheitsnadel notdürftig
befestigen.
Nach ca. dreißig sehr schnellen
Minuten – die waren ziemlich flott unterwegs - kommen Klaus und sein Vater
wieder … mit Bügel. Gut. Dieser ist dann auch schnell montiert und dem
lospilgern steht nun nichts mehr im Wege. Im wahrsten Sinne des Wortes: Los
geht es!
Clyde darf erstmal noch ein bisschen
selbst laufen und ist ganz aufgeregt. Er schnüffelt mal rechts mal links,
bleibt stehen und hebt das Bein. Na so kommen wir heute nicht sehr weit. Auch
regnet es noch immer leicht und wir beschließen, er darf erstmal bisschen in
seinen Wagen.
Wir sind damit beschäftigt, die
Rucksäcke nochmal ein wenig nachzustellen. Ein Ziehen hier, ein Lockern da … es
dauert immer eine Weile, bis ich dann das Gefühl habe es passt.
Klaus schiebt den Wagen, ich laufe
mit meinen Stöcken nebenher. Der Weg ist recht gut markiert und wir haben keine
Schwierigkeiten, die Zeichen zu finden.
Der erste Ort durch den wir kommen
ist Grimmelfingen. Hier holen wir uns auch den ersten Stempel dieser
Pilgerreise – Nomen es Omen, in der Jakobuskirche. Man mag nun davon halten,
was man will, also das mit der ‚Stempelei‘. Ich persönlich finde es schön, eine
Erinnerung an den Verlauf der Reise in Form der verschiedenen Stempel zu haben.
Wir überlegen, wir hätten doch am Ulmer Münster anfangen sollen, um hier den
Anfangsstempel zu holen. Aber nun ist es eh zu später und wenn wir den wirklich
wollen, können wir den immer noch holen. Wir laufen weiter.
Hinter Einsingen wird es dann
interessant. Bisher hatten wir kleine Asphaltstraßen und mehr oder weniger
gepflasterte Wege. Nun führt der Jakobsweg hinaus aufs Feld und auf einen
Grasweg. Wenn man nur einfach so zu Fuß unterwegs ist, ist das ja kein größeres
Problem. Aber ob Clydes Wagen das dann so mitmacht? Wie ist es mit dem Schieben
auf Schotter und/oder Gras? Klaus müht sich tapfer und es klappt auch ganz gut,
der ‚Ferrari‘ scheint nicht nur sportlich, sondern auch geländegängig zu sein.
Clyde darf wieder selbst laufen, da hier absolut keine Autos – oder irgendeine
Menschenseele - unterwegs sind. Er ist fit und ich glaube ihn freut das
nass-kühle Wetter.
Es läuft (sich) gut und wir sind
positiv gestimmt, obwohl es immer noch regnet. Mal stärker, mal schwächer. Doch
noch drückt kein Schuh, die Wege sind passierbar und ausreichend Markierungen
vorhanden.
Dieser – also der Weg – führt uns
oberhalb des Donautals entlang. Immer wieder hat man einen tollen Blick über
eben jenes. Allerdings da auch auf ein riesiges Industriegebiet mit großen
Hallen und Schornsteinen. Irgendwie schafft es der Mensch immer, der ihn
umgebenden Natur seinen Stempel aufzudrücken. Pilgernderweise fallen mir diese
Dinge viel mehr auf, als wenn ich in einem Auto sitze und aus Fenster schauend
daran vorbeirase. Wohl auch - oder gerade weil - die Geschwindigkeit nun wieder
auf Schrittlänge reduziert ist. In der Hektik des Alltags vergesse ich oft,
dass die Langsamkeit mir meine Umgebung viel detaillierter zeigt und vor allem
meinen Gedanken Zeit lässt, dem Auge zu folgen
Vor Erbach fängt es dann an zu
schütten. Wir überlegen kurz, die Regenponchos rauszuholen, aber irgendwie bin
ich eh schon nass und dann wird es darunter nur dämpfig. Der Wind frischt stark
auf und es wird richtig unangenehm. Zum Glück ist es nicht so kalt das macht es
hinnehmbar. Und der Weg ist hier asphaltiert, bzw. geschottert. Clyde haben wir
wieder in seinen Wagen verfrachtet, damit er einigermaßen trocken bleibt. Es
passt ihm nicht wirklich, da er durch die Abdeckung nicht rausschauen kann.
Wir machen immer mal wieder Halt,
wenn wir einen großen Baum finden, unter dem es einigermaßen trocken ist. Am
Ortseingang von Erbach, bei einem Schulzentrum, finden wir ein großes
Bushaltestellenhäuschen, das mit zwei Bänken geradezu einlädt zu verweilen. Wir
überlegen, dass wir doch erstmal ganz gepflegt einen Kaffee trinken gehen
könnten. Dem Wetter trotzend die Stirn bieten. Gesagt getan. Klaus kennt sich in
dieser Gegend recht gut aus und weiß, wo wir eine entsprechende Lokalität
finden. Nichts wie hin. 100 m die Hauptstraße hinunter, kaum 50 m abweichend
vom Jakobsweg, ist das Eiscafé Petrini und es gibt draußen trockene Stühle unter
Schirmen. Bei mir alter Kaffeetante wirkt der braune Trank immer Wunder und
motiviert.
Die Motivation können wir dann auch
gleich gut brauchen, denn beim Weitergehen lässt das nächste Hindernis nicht
lange auf sich warten: Treppen. Und wir sehen keine Möglichkeit diese zu
umgehen. Also ackert Klaus mühsam, bis der Wagen oben ist. Dann einen Rad- bzw.
Fußweg weiter hinaufschieben bis zum Schlossberg. Belohnt wird die Anstrengung
mit einem wundervollen Blick auf Erbach und Umgebung – und es hört tatsächlich
auf zu regnen! Endlich. Und da die Luft nicht so kalt ist, trocknet dann doch
alles recht schnell ab.
Wir werfen noch einen Blick in die
St. Martins Kirche und stempeln unseren Pilgerpass.
Clyde darf jetzt auch wieder selbst
laufen. Er wiegt zwar nur ca. 7,5 kg, aber diese machen sich beim Schieben durchaus
bemerkbar. Beim Durchwandern eines Ortes allerdings bewährt sich der Wagen sehr
gut. Clyde stört es (meist) nicht, er ist gut aufgehoben und wir müssen nicht
ständig aufpassen, dass er auf die Straße rennt oder einer Katze hinterherjagt.
Oberhalb des Friedhofes von Erbach
ist eine tolle Bank mit herrlicher Aussicht auf das Donautal und einen Stausee.
Perfekt für eine Pause. Wir stärken uns mit den mitgebrachten Broten.
Im wahrsten Sinne des Wortes über
Stock und Stein geht es weiter zur Maria-Hilf-Kapelle. Diese unterscheidet sich
nicht wesentlich von anderen kleinen Kapellen, die es überall im Ländle gibt.
Doch vor der Kapelle gibt es eine Besonderheit: das „Gruabbänkle“. Urschwäbisch
und netterweise gleich mit Erklärung: «Zu
Zeiten, als man die Wege noch zu Fuß erledigte und die Lasten dabei auf dem Rücken
oder auf dem Kopf trug, boten spezielle Ruhebänke einen beliebten Rastplatz zum
Ausruhen (auf schwäbisch ‚gruaba‘). Auf einer hohen Stufe konnte die Last
abgestellt und beim Weitergehen ohne allzu große Anstrengung wieder gut
aufgenommen werden. Schon im Jahre 1849 ist der Name ‚Gruabbänkle‘ für die
benachbarte Maria-Hilf-Kapelle verwendet worden.»
Von hier sind es nur noch sechs
Kilometer bis Oberdischingen. Das Etappenziel rückt näher. Kurz vor Donaurieden
sind wir uns dann auch sicher, dass es nun endgültig Schluss ist mit dem Regen
und ziehen die Capes von den Rucksäcken und decken den Wagen ab. Wir hatten zum
Schutz ja einfach einen großen Müllsack darüber gelegt. Wenig Aufwand aber
effektiv.
Der Endspurt nach Oberdischingen zieht
sich noch ein wenig. Die ungewöhnliche Last auf dem Rücken und die heute gut 21
zurückgelegten Kilometer machen sich langsam bemerkbar. Wir sind froh, als der
hübsche kleine Ort in Sichtweite kommt.
Bei einer früheren Spazierfahrt mit dem
Auto waren wir schon einmal hier und der Ort faszinierte mich gleich. Zum einen
natürlich die Herrengasse (die Hauptstraße), die rechts und links von einer hübschen
Häuserzeile begrenzt wird. Diese sind im französischen Mansard-Stil erhalten
und geben dem Ganzen ein barockes Flair. Und dann natürlich die Kirche, die mit
ihrem Kuppelbau so gar nicht in diese Gegend passt . Später erzählt mir Julia
von der Pilgerherberge, dass die Kuppel wohl dem Pantheon in Rom nachempfunden
sei. Ich gehe hinein und es ist auf jeden Fall ein toller Anblick - nur in der
Erinnerung, nicht auf einem Foto Chip, speicherbar. Ich stehe eine Weile ganz
still und staune. Ich bin ja nun wirklich kein großer Kirchgänger, dennoch mag
ich die Gebäude an sich. Sie sind für mich eine Art Oase der Ruhe in der Hektik
und dem Lärm der Welt. Es scheint, dort ist das Draußen nicht mehr wichtig und
für ein paar Momente hält die Zeit an ...
Zum Cursillo-Haus, in dem auch die
Pilgerherberge ist, geht es nochmal einen steilen Berg hoch, der aber locker zu
bewältigen scheint, mit dem Ziel vor Augen. Dies ist eine der sehr wenigen
Herbergen, die Hunde akzeptieren. Allerdings sollte man vorher reservieren, da
es im Prinzip nur ein Zimmer gibt, das hierfür zur Verfügung steht. Da ich,
zwecks eines Lesungs-Vortrages, den ich hier im Winter halten werde, schon eine
Weile Kontakt zu Julia – die Hausleiterin – hatte, sind wir angemeldet.
Mit ein Grund, warum wir in Ulm
unseren Wege begonnen haben, ist, dass ich gerne hier in der Pilgerherberge
übernachten wollte. Auch um Klaus – der ja ein kompletter Neuling in der Pilgergemeinschaft
ist - ein wenig von dem Pilgerfeeling zu zeigen. Auf unserem weiteren Weg sind
die Unterkünfte ganz anderer Art. Ob besser oder schlechter wird sich dann
herausstellen.
Wir werden herzlich empfangen und
bekommen das (Hunde-)Zimmer im Nebenhaus zugeteilt. Drei Betten – die frisch bezogen
sehr einladend aussehen -, ein Schrank und in einer Ecke ein Waschbecken.
Das übliche Procedere nach Ankunft am
Etappenziel beginnt und ich staune, wie schnell ich mich darin wieder ‚zuhause‘
fühle. Erstmal duschen (die Dusche ist hier unterm Dach in einem Bad mit
Caminokacheln an den Wänden), Unterwäsche und Shirts auswaschen und ein
bisschen chillen.
Nachdem ich Clyde gefüttert habe (er
ist eher ein schlechter Esser, aber das Pilgern heute scheint ihn hungrig
gemacht zu haben – er isst alles restlos auf) und mit ihm noch einen kleinen
Verdauungsspaziergang gemacht habe, gehen wir etwas später wieder zum Haupthaus
hinüber.
Zu meiner großen Freude treffen wir vier
anderer Pilgerinnen, die auch heute in Ulm gestartet sind. Beim Abendessen (es
gibt Salat, reichlich Brot und Aufschnitt und allerlei dazu) sitzen wir
zusammen. Wieder dieses ‚nach Hause kommen‘-Gefühl bei den Gesprächen. Ich
merke, zumindest der Anfang, hat sich in den letzten Jahren nicht geändert: Wo kommst Du her, wo bist Du losgelaufen,
wie weit wirst Du gehen? So sitzen wir dann noch lange und quatschen. Reden
auch über Motivation und Wege, über vergangene Pilgerreisen und mein Buch.
Clyde ist ziemlich müde, kommt aber
nicht so recht dazu sich auszuruhen. Julia hat ihren Hund Keno mitgebracht und
der möchte natürlich nicht unbedingt einen Eindringling in seinem Revier haben.
Doch nach einer Weile kehrt auch hier eine Ruhe ein. Die zwei werden wohl keine
dicken Freunde werden, aber ein eingeschränktes Nebeneinander geht.
Gegen 21 Uhr ist allgemeiner Aufbruch
und auch wir verziehen uns in unser Zimmer. Müde aber ganz glücklich falle ich
ins Bett und bin bald im Land der Träume abgetaucht.
Fazit des heutigen Tages: Die
Pilgertaufe (im Regen wandern) haben wir gut und mit Humor überstanden; es sind
keine Blasen oder sonstige Blessuren zu vermelden; der ‚Ferrari‘ scheint geländegängig
zu sein und Clyde ist fit und in der Lage gut mitzuhalten …. und ich bin
gedanklich schon meilenweit vom Alltag entfernt und auf dem Weg angekommen!
Fortsetzung
folgt …
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