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Mittwoch, 19. August 2015

Begegnungen ...



Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.
(Guy de Maupassant)

2.8.2015 Sonntag – Oberdischingen nach Äpfingen
 
Um halb sieben klingelt der Wecker. Ich bin allerdings schon seit ca. 1 Std. wach, habe aber noch vor mich hingedöst um die zwei Herren – Klaus und Clyde, die noch tief und fest schlafen – nicht zu wecken. Aber nun ist es Zeit. Also aufstehen. Zunächst etwas zögerlich, irgendwie in der Erwartung, dass mir irgendwas wehtut. Tut es nicht. Faszinierend, wie sich der Körper in Nacht erholt. Von den gestrigen Anstrengungen merke ich jedenfalls nichts.
Und es kommt mir vor, als seien wir schon ewig unterwegs, denn das morgendliche Pilgerritual scheint fast mühelos zu funktionieren: Zähneputzen, anziehen, anfangen zu packen.
Eine Neuerung gibt es zu meiner früheren Reise natürlich, denn Clyde möchte gefüttert werden. Wobei er kein Frühstücker ist und sein Essen nicht anrührt. Ja und dann braucht er ja auch noch seine morgendliche Runde Gassi gehen. Fröhlich läuft er den Feldweg entlang und will gar nicht mehr anhalten. Auch er hat sich wohl in der Nacht von den gestrigen Anstrengungen erholt.

Zurück in der Herberge heißt es dann fertig packen und das Bett erst ab, dann neu mit der bereit liegenden Bettwäsche beziehen. Für eine Nacht in sauberen Laken tue ich das sehr gerne.

Pünktlich um acht Uhr sind wir fertig und gehen zum Frühstück ins Haupthaus. Die Temperaturen sind angenehm und wir sitzen, wieder zu siebt, inklusive Julia, auf der Terrasse. Es gibt reichlich zu essen und – ganz wichtig – viel Kaffee! Wir plaudern noch ein wenig, zahlen dann unseren Obolus und machen ein Gruppenbild. Fast schade, sich schon wieder trennen zu müssen. Doch auf dem Jakobsweg begegnet man sich immer wieder, so meine Erfahrung.
Auf jeden Fall, ein tolles Haus, ein toller Ort zum Verweilen. Doch wir wollen weiter.

Gestärkt und motiviert schaffen wir es dann auch gegen viertel nach neun loszuziehen. Den Hügel hinunter ins Dorf, an der Kirche vorbei und hinaus aufs Feld. Immer den Zeichen und gelben Pfeilen folgend führt der Weg zunächst über die Donau. Das Wetter ist herrlich, blauer Himmel und es ist jetzt schon zu spüren, dass es heute sehr warm wird.

Noch sind die Beschilderungen gut, der Weg asphaltiert. Doch der nächste Grasweg lässt nicht lange auf sich warten. Clyde läuft selbst – jetzt am Morgen ist er noch ziemlich frisch und munter – und so ist das Schieben des Wagens für Klaus ein wenig leichter. Allerdings meint er, dass er heute seine Wadenmuskeln spüre, was er auf die ungewohnte Bewegung (Wagen schieben) schiebt. Bei mir sind Beine und Füße soweit in Ordnung. Einzig eine Druckstelle am Schlüsselbein schmerzt ein wenig, aber nach einer Weile spüre ich sie nicht mehr.

Ich mache meinen Ruf als ‚Blümchenpilger‘ alle Ehre. Bei (fast) jeder schönen Blume bzw. Pflanze am Wegrand bleibe ich stehen, schaue und freue mich einfach, oder mache ein Foto. Für mich hat es etwas mit ‚die Natur nicht nur sehen, sondern erleben‘ zu tun …

In Ersingen gibt es einen kurzen Halt an der Franziskuskirche, wir holen uns einen Stempel und verweilen einen Augenblick. Auch hierfür finde ich die Besuche der am Weg liegenden Kirchen lohnend: ein Grund einen Moment auszuruhen. Ich denke dann immer an die alte Indianerweisheit: Wir müssen hin und wieder anhalten, damit unsere Seelen folgen können

Bis Rißtissen geht es dann auf einem Radweg an der Straße entlang. Einerseits gut, denn hier ist es leicht, Clydes Wagen zu schieben. Andererseits gibt es keinen Schatten und natürlich sind die vorbeifahrenden Autos nicht so angenehm. Doch es ist Sonntag und nicht allzu viel Verkehr. Und Clyde stört es wohl nicht, dass er im Wagen sitzt. Er schaut begeistert vorne raus und man könnte meinen, er denkt: ‚Schieb mal bisschen schneller - von wegen Fahrtwind und so …‘.

Auch in Rißtissen schauen wir uns die Kirche an. Ich bin immer wieder erstaunt über diese kleinen Schönheiten, die von außen oft recht unscheinbar wirken, innen aber – sehr typisch für katholische Kirchen – üppig verziert sind.
Ich fahre oft durch diesen Ort, wenn ich von Leinfelden nach Laupheim unterwegs bin. Doch so aus der Fußgängerperspektive sieht alles irgendwie anders aus. Und ich stelle fest, dass dieses ‚Kaff‘ es doch in sich hat. Ich lese nämlich in meinem Pilgerführer, dass hier das Schloss der Freiherren Schenk von Stauffenberg steht – heute noch von deren Nachfahren bewohnt. Die Brüder Berthold und Claus von Stauffenberg waren es, die am 20.07.1944 ein Attentat auf Hitler verübten; dabei leider scheiterten. Doch anscheinend legen die Nachkommen keinen allzu großen Wert darauf, auf diesen Zweig der Familie aufmerksam zu machen. Am eisernen Schlosstor nur das Schild ‚Privatbesitz‘. Zwischen den Gitterstäben durchschauend komme ich mir vor wie ein kleines Kind, das in einen verwunschenen Garten blickt …

Während wir weiterpilgern, hänge ich noch ein wenig meinen Gedanken über das Schloss und die von Stauffenbergs nach. Doch es ist heiß und bald habe ich das Gefühl, meine Gedanken schmelzen in der Sonne wie meine Wasservorräte in den Flaschen. Ich kann gar nicht so viel trinken, wie ich wieder ausschwitze. Und es ist noch nicht einmal Mittag.

Gleich nach dem Golfplatz erreichen wir eine Marienkapelle. Diese liegt eingebettet auf einer kleinen mit einer Hecke umpflanzten Lichtung. Die Bänke laden geradezu dazu ein, sich im Schatten unter den großen Bäumen ein wenig auszuruhen. Vor allem Clyde freut sich darüber eine Weile in der Wiese zu liegen. Er ist ko, die Hitze macht ihm zu schaffen. Dennoch rafft er sich auf und isst ein wenig von seinem übriggelassenen Frühstück. Immerhin. Wir begnügen uns mit Müsliriegel und Banane.

Die vier Pilgerinnen aus der Herberge kommen vorbei. Das übliche ‚Hallo, wie ist es Euch bis jetzt heute ergangen?‘ wird ausgetauscht, dann ziehen sie weiter. Das ist der Weg, man verliert sich im Prinzip nicht wirklich aus den Augen, wenn man die gleichen Etappen läuft.

Weiter geht es durch Niederkirch nach Untersulmetingen und Obersulmetingen. Alle drei Ortsteile gehören heute zu Laupheim. Dennoch bekommen wir an der Pfarrkirche und in den Kapellen jeweils einen Stempel. Auf den ersten Blick sehen sie gleich aus, aber es steht eben der andere Ortsteil darauf. Sehr kreativ ;-)
So klein diese Örtchen sein mögen, ein jeder hat so seine Besonderheit. Ab Niederkirch laufen wir ein Stück an der Riß entlang, die erfrischend neben uns sprudelt (leider gibt es keine Möglichkeiten mal schnell die Füße hineinzuhängen). In Untersulmetingen muss Klaus den Wagen wieder einmal eine Treppe hochackern, die zu umgehen ein ziemlicher Umweg wäre. Und in Obersulmetingen müssen wir die ‚Kirche‘ erstmal finden. Wir folgen den Schildern, können aber nirgends einen Kirchturm entdecken. Stellen dann fest, diese ist – gut getarnt - in einem Teilflügel des kleinen Schlosses untergebracht. Der Schönheit im Inneren tut dies keinen Abbruch. Doch leider gibt es davor keine Schattenbank, die wir uns so sehr ersehnen. Diese gäbe es dann auf dem kleinen Fest, an dem wir gleich danach vorbeilaufen. Aber wir lassen es links liegen – für einen Frühschoppen ist es jetzt zu spät und nach Kaffee und Kuchen ist uns nicht …

Weiter immer weiter. Der Weg scheint heute endlos. Liegt es an der Hitze? Daran dass wir mit dem Wagen unterwegs sind (Clyde hat das Laufen inzwischen gänzlich aufgegeben). Oder ist es einfach, weil es der zweite Tag ist und doch noch keine Routine?

Dann kommt von weitem, die auf einem Hügel liegende Kirche von Schemmerberg in Sicht. Von unserer Probewanderung an Pfingsten wissen wir noch, dass es dort einen schönen Rastplatz gibt und im Gemeindehaus eine offene Toilette für Pilger und somit auch einen Wasserhahn, um die in der Hitze schwindenden Getränkevorräte aufzufüllen. 

Zu unserem Glück verlaufen wir uns kurz vor dem Ort und folgen nicht dem beschriebenen Weg (ein Grasweg, der steil den Berg hinauf führt), sondern dem kleinen asphaltiertem Radweg in Richtung Schemmerberg. Dennoch müssen auch wir hinauf und schnaufen die kurvig ansteigende Straße hoch. Belohnt werden wir mit einer wundervollen Aussicht in das Rißtal. Etwas seltsam ist es, in der Ferne das Hochhaus von Laupheim zu sehen. Es scheint nur einen Katzensprung entfernt und mit dem Auto ist es das auch. Doch sich eine Landschaft zu erwandern, ist doch ein ganz anderes Erleben.
Endlich oben, ist erstmal Pause angesagt. Clyde legt sich sofort in den Schatten und macht, nachdem er getrunken hat, die Augen zu. Wir belagern die Bank und gehen abwechselnd in die Kirche und zum Klo, während der andere bei Hund und Gepäck bleibt. Ich denke mir, es hat doch auch echte Vorteile, wenn man zu zweit unterwegs ist.

Zusammen unterwegs sind auch die zwei Pilger, die vorbei kommen. Sie stellen sich als Maik und Jörg aus Leipzig vor, Vater und Sohn. Auch sie sind in Ulm losgelaufen. Die üblichen Fragen werden gestellt und beantwortet und ein wenig geplaudert. Und als wir dann weiterziehen, pilgern wir zu viert  bzw. fünft los - wobei Herr Clyde ja chauffiert wird ...

Der wohl schönste Abschnitt dieses Tages führt uns von den Sportplätzen von Schemmerberg Richtung Äpfingen durch ein Stück Wald bzw. das sogenannte Ried. Bei der Hitze sehr angenehm, endlich im Schatten zu laufen. Selbst den befürchteten Mücken ist es zu heiß und sie haben sich irgendwohin verkrochen. Einzig die ‚Bremsen‘ oder wie Klaus sagt ‚Schweizer‘ – der fachlich richtige Ausdruck ist Tabanidae - sind unterwegs. Egal, wie man sie nennt, alle haben eine penetrante Art an sich, um Weidevieh oder uns Menschen zu attackieren und sich eine Blutmahlzeit zur Sättigung zu verschaffen. Auf der Suche nach einer geeigneten Bissstelle bietet selbst Kleidung kein Hindernis. Und das blutsaugendes Insekt der Gattung Fliegen, scheint Klaus zu mögen. Hat wohl besonders süßes Blut. Wobei ein sicheres Lockmittel für die blutrünstigen Quälgeister natürlich auch der Schweiß ist. Oder liegt es daran, dass, wie ich irgendwo mal gelesen habe, bei den meisten Bremsen-Arten nur die Weibchen Blut saugen? Mich jedenfalls lassen sie gänzlich in Ruhe …
 
Die kleine Kreisstraße auf der wir nun laufen, ist nicht gleich als solche wahrzunehmen, da sie nicht asphaltiert ist, sondern geschottert. Zu merken ist dies nur, weil doch hin und wieder ein Auto vorbeifährt.
Etwas ausgeruht und damit er nicht allzu schlimm durchgeschüttelt wird, läuft Clyde wieder ein Stück selbst. Doch ich glaube, dass er inzwischen auf dem Standpunkt ist: besser schlecht gefahren, als gut gelaufen und will bald wieder einsteigen.

Dieses Stück Weg sind wir ja schon einmal gelaufen und wissen, kurz vor Äpfingen gibt es noch eine schöne Bank unter großen Bäumen zum Ausruhen. Die nutzen wir dann auch aus. Maik und Jörg gehen weiter. Sie übernachten im örtlichen Gasthof, wir haben für heute eine Privatunterkunft gefunden, die uns auch mit Hund aufnehmen.

Zwei der Pilgerinnen aus Oberdischingen – Christine und Elisabeth – laufen vorbei. Wir hatten schon am Morgen festgestellt, dass wir heute in der gleichen Unterkunft sind und so laufen wir den Rest des Weges durch den Ort zusammen. Noch ein kurzer Halt an der Kirche und dann der mir zur Verfügung gestellten Beschreibung folgend in Richtung Heim der Familie Hepp.

Ein wundervoller Vorgarten, in dem es grünt und blüht, ist schon von weitem zu sehen. Josef, der vor der Garage gerade an seinem Auto rumschraubt grüßt uns freudig. Gleich zeigt er uns auch einen Platz wo wir Clydes Wagen unterstellen können. Und Anne, die Hausherrin, empfängt uns sehr sehr herzlich. Wir bekommen ein riesiges Zimmer im ersten Stock. Herrlich. Auf einem Tischchen ist verschiedenste Literatur zum Jakobsweg zu finden, auch ein Buch mit Zitaten, worin ich gleich mal blättere und – es gibt ja keinen Zufall – über dies stolpere:
Wir schaffen es das Zimmer in kurzer Zeit ins Chaos zu verwandeln, als wir die Rucksäcke ausräumen. Irgendwie habe ich das nie in den Griff bekommen, nicht jeden Abend alles ausräumen und am Morgen wieder einpacken zu müssen. Alles wird gebraucht. Andererseits ist das ja gut so, dann habe ich wohl auch nichts Überflüssiges dabei.

Wir vier teilen ein Bad und da Christine und Elisabeth noch nach einer Übernachtung für morgen schauen wollen, dürfen wir zuerst. Das heißt, als allererstes wird natürlich Clyde versorgt. Hungrig isst er sein ganzes Abendessen auf und ist danach so munter, dass er gleich Gassi gehen will. Geduld mein Freund, wir sind noch nicht ganz so weit.

Anne entschuldigt sich, dass sie für uns kein Abendessen vorbereitet hätte, aber sie waren selbst den ganzen Tag unterwegs. Wir können nicht oft genug betonen, dass dies doch wirklich nicht nötig ist und völlig in Ordnung. Hier in Äpfingen gibt es ja zum Glück noch eine Gastwirtschaft und noch sind die nicht in Betriebsferien.
Als wir geduscht und gestriegelt sind, machen Klaus, Clyde und ich uns auf dem Weg dorthin.
Ist immer wieder erstaunlich: Rucksack ablegen, eine Dusche, ein sauberes Shirt und schon fühlt man sich erfrischt genug um wieder zu laufen. Okay, Clyde nicht. Erst wollte er ja unbedingt raus und nun hat überhaupt keine Lust, kommt dann aber doch – etwas wiederwillig – mit.

Gerade als wir uns an einen kleinen Tisch in dem hübschen Biergarten setzten wollen, kommen Marion und Sonja, die anderen zwei Pilgerinnen aus Oberdischingen. Wir wechseln an einen großen Tisch und unterhalten uns darüber, wie der Tag gelaufen ist.

Es dauert nicht lange, da tauchen Maik und Jörg, Christine und Elisabeth auf. Eine schöne Pilger-Runde hat sich da zusammen gefunden. Es werden die Erlebnisse des Tages ausgetauscht und Wegstrecken diskutiert. Aber ganz schnell auch ganz Persönliches und schöne Gespräche entstehen. Ich kenne das ja, dass man so unter Pilgern sofort ein sehr verbundenes Verhältnis pflegt, als kenne man sich schon ewig. Klaus meint später, dass sei ein toller Effekt, den er so noch nicht erlebt hat.

Das Essen ist gut und günstig und reichlich. Und es gibt genug zu trinken; für mich Johannisbeersaftschorle (nachdem ich den ganzen Tag Wasser getrunken habe, schmeckt das super) und für die Anderen meist Radler. Später nehme ich Clyde, der mich mit müden Augen anschaut, auf den Schoß, wo er sofort selig entschlummert.

Es wird ein sehr netter Abend und erst gegen zehn machen wir uns auf den Weg zurück zum Haus der Familie Hepp. Clyde nun wieder ganz munter, springt fröhlich vorne weg, wir ein bisschen müder, schleppend hinterher.
Das herrliche Bett empfängt uns und es dauert keine viertel Stunde, da schlafen wir alle drei, tief und fest ...

Fortsetzung folgt …

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