3.8.2015 Montag – Äpfingen nach
Steinhausen
Ich schlafe sehr gut und traumlos, so
zumindest scheint es mir. Erst der Wecker reißt mich aus dem Tiefschlaf und
etwas unwillig stehe ich auf. Zwar tut mir nichts weh, aber ich bin müde.
Erste Pflicht, den Hund versorgen –
der heute Morgen wieder ganz munter ist -, dann Reih um ins Bad gehen. Josef
ist ganz erschrocken, als wir um sieben die Treppe hinunter kommen und meint,
das Frühstück sei noch nicht fertig (wir hatten mit Anne halb acht vereinbart).
Ich beruhige ihn und sage, ich muss nur mit Clyde Gassi gehen – sozusagen
unsere täglichen Zusatzkilometer.
Heute Morgen scheint mein Blick etwas
klarer, denn jetzt erst entdecke ich all die hübschen Details des Garten und im
Haus. Überall, z.B. auf Spiegeln oder alten Fenstern, Steinen und Ästen, sind
motivierende Sprüche geschrieben und der Jakobsweg-Fan ist deutlich
auszumachen: eine Muschel hier, ein Bild da. Und alles ist mit viel Liebe und Herzblut
platziert. Anne ist einfach eine tolle Frau, denke ich …
Es ist ein herrlicher Morgen.
Strahlend blauer Himmel, angenehme Temperatur und ich habe das Gefühl, nicht
nur in meinem Knochen steckt noch ein wenig Schlaf der letzten Nacht; die
Straßen sind menschenleer und mir scheint alles verträumt und friedlich.
Nach der morgendlichen Runde mit
Clyde, setzen wir uns an den reichlich gedeckten Tisch. Brötchen und Aufschnitt
und mindestens fünf verschiedene Sorten selbstgemachter Marmelade. Da lacht das
Pilgerherz. Anne entschuldigt ihren Mann, der leider schon weg musste. Doch wir
anderen, Christine und Elisabeth, Klaus, ich und Anne, sitzen gemütlich
zusammen, frühstücken ausgiebig und reden. Anne ist selbst schon gepilgert und
so kam ihr dann auch die Idee Pilger bei sich aufzunehmen. Zumal sie ja fast
direkt am Jakobsweg wohnt. Sie erzählt, dass es zunächst gar nicht so einfach
war, ihre Familie davon zu überzeugen, Fremde ins Haus zu holen. Letzten Endes hat
sie sich durchgesetzt und nun freut sie sich jedes Mal, wenn die Pilger immer
so einen Hauch des Camino in ihr Haus bringen. Und auch die Familie sei
inzwischen überzeugt, dass die Pilger-Gäste eine Bereicherung sind.
Entsprechend lange sitzen wir dann
auch und der Abschied fällt fast schwer. Ich verspreche, dass wir (Klaus, Clyde
und ich) mal bei ihr vorbei kommen. Schließlich ist Laupheim ja sozusagen um
die Ecke und so haben wir ein Ziel für eine sonntägliche Fahrradtour.
Um viertel vor neun schaffen wir es loszuziehen.
Schon jetzt ist die aufkommende Hitze des Tages zu spüren. Und wir haben so ca.
25 Kilometer vor uns – denken wir.
Aus Äpfingen heraus, über einen
Betonplattenweg ist alles noch recht gut zu finden und zu laufen. Wir überlegen
ernsthaft ob wir bei der Probewanderung im Juni wirklich auch hier entlang
gekommen sind. Wir sind, aber nun sieht es – vielleicht ob der fortgeschrittenen
Jahreszeit – irgendwie anders aus. Vielleicht hat sich auch der Blickwinkel
verändert, wer weiß.

Für die anderen Pilger, die wir
hinter uns wähnen, legen wir immer mal wieder Zeichen und hoffen, dass diese
ihnen die Wegfindung etwas erleichtern.
Der Weg führt nun nicht mehr so schön
durch den Wald und wir sind der Sonne erbarmungslos ausgesetzt. Ich spüre, wie
die weißen Flecken auf meinen Händen rot werden und verbrennen. Ich habe mal
wieder vergessen mich mit Sonnencreme einzureiben und irgendwie bin ich jetzt
zu faul, diese aus meinem Rucksack zu kramen... Gerne hätten wir auch mehr
Pausen gemacht, aber es gibt entlang des Weges keine Bank im Schatten, die dazu
eingeladen hätte.
Die hiesige St. Martins Kirche ist
groß und hübsch, aber es gibt leider keinen Stempel. Ich denke mir, eine Stadt
wie diese hat es vielleicht nicht nötig sich um die paar Jakobswegpilger zu
scheren, die hier hin und wieder vorbeiwandern. Viele der kleinen Orte am Wegesrand
freuen sich dagegen, durch die Pilger eine neue Bedeutung zu bekommen und
lohnen dies mit offenen Kirchtüren, Bücher in denen man eine Nachricht, einen
Dank oder einen Gruß hinterlassen kann und eben den Stempeln für die
Pilgerpässe. Ich jedenfalls freue mich jedes Mal darüber.
Wir beschließen erstmal am
Marktplatz, gegenüber der Kirche, einen Kaffee zu trinken. Pause machen. Hier treffen
wir die ‚Puschmänner‘ (Maik und sein Vater aus Leipzig) und reden ein wenig.
Christine und Elisabeth laufen vorbei und sie gelüstet es nach einem großen
Eis. Wir alle sind uns einig, dass der heutige Weg sehr anspruchsvoll ist –
nicht nur von der Beschaffenheit der Wege, auch wegen der fehlenden
Beschilderung.
Ich weiß, es sind alles ehrenamtliche
Helfer, die für die Markierungen entlang des Weges sorgen und ich bin sehr
dankbar für diese Menschen. Doch wenn man irgendwo in der Pampa steht, es ziemlich
heiß ist und man gerade 2 km Umweg gelaufen ist, ist es etwas schwierig, nicht
über sie zu fluchen, dass hier kein Zeichen zu finden war …
Wir trotten vor uns hin. Durch den
kleinen Ort Reute, wo die Kirche geschlossen ist, vorbei am Gasthof Hirsch, der
auch geschlossen ist, weiter. Ich habe im Pilgerführer gelesen, dass Teile des
vor uns liegenden Weges Feld- und Graswege sind. Es wird aber eine Alternative
für Radfahrer vorgeschlagen und ohne groß zu zögern, nehmen wir die
Alternative. Diese ist eine asphaltierte, wenig befahrene, kleine Straße, die
meist im Schatten von großen Bäumen über Voggenreute in Kurven Richtung Grodt
führt. Hier treffen wir dann auch wieder auf den Jakobsweg.
Elisabeth und Christine kommen und
wir plaudern kurz, wandern dann mehr oder weniger zu viert weiter. Bis
Muttensweiler nehmen wir wieder den JW, werfen dort einen kurzen Blick in die St.
Jakobus Kirche und beschließen für den Rest dann doch wieder den Radweg zu
nehmen. Zum Schieben des Wagens durch Feld und Flur fehlt jetzt am späten Nachmittag
einfach die Motivation und Kraft.
Der letzte Abschnitt bis Steinhausen
zieht sich. Der Radweg führt an der recht befahrenen Straße entlang. Der
Asphalt brennt unter den Fußsohlen. Und irgendwie sind wir alle etwas genervt.
Ich denke weder viel noch ernsthaft,
sondern bin einfach froh als bald die Kirchturmspitze des heutigen
Etappenzieles in Sicht kommt.
In Steinhausen gehen Elisabeth und
Christine gleich zur Unterkunft, Klaus und ich schauen uns noch die Kirche an.
Sie ist als ‚Die schönste Dorfkirche der Welt‘ deklariert – und wirklich, sie
ist beeindrucken. Von außen wie von innen. Drinnen halte ich einen Moment inne
und versuche ruhig zu werden, die Anspannung des Tages loszulassen. Doch so recht
will mir das nicht gelingen und ich kann die Schönheit nicht genießen, ich bin
einfach ko. Die schlichte kleine Kapelle in Grodt hat mir mehr Ruhe gebracht,
als diese überreichlich verzierte Wallfahrtskirche. Da Klaus schon für jeden
von uns eine Kerze angezündet hat, nehme ich für jeden einen Schutzengel in
Form einer kleinen Karte mit. Den kann man immer brauchen.
Unsere Unterkunft heute ist eine FeWo
bei Fam. Rutka. Als wir klingeln, öffnet die Tochter und zeigt uns das
1-Zimmer-Appartment. Es kommt mir vor wie ein Paradies, so froh bin ich
anzukommen. Nett eingerichtet in hellem Holz und angenehmen Farben. Rucksack
runter, Schuhe aus.
Mein linker Fuß tut weh – genau genommen
eine Stelle oberhalb der Ferse. Meine Schuhe sind ja schon ziemlich gut
eingelaufen und noch nie hatte ich hier eine Druckstelle. Doch nun habe ich
sie. Entweder durch den Socken – was ich mir nicht vorstellen kann, denn auch
die sind erprobt – oder weil meine Füße in der Wärme angeschwollen sind. Zum
Glück habe ich ja noch ein paar Sandalen dabei, die ich dann am Abend anziehen
kann.
Nachdem ich geduscht habe und mich
wieder einigermaßen fit fühle, koche ich und da das Wetter ja immer noch schön
ist, essen wir draußen.
Später gesellen sich die Elisabeth
und Christine dazu, die auch hier übernachten und wir sitzen bis nach zehn im
lauen Sommerabend und reden über Gott und die Welt und unsere Leben. Ganz im
Sinne des Camino, sehr persönlich und intensiv. Auch das gehört für mich zum
Jakobsweg.
Beim Einschlafen denke ich: Wir
sollen irgendwann noch mal hierherkommen und uns die Kirche in aller Ruhe
anschauen. So als Ausflügler, mit frischem Kopf und wachen Augen…
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