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Donnerstag, 20. August 2015

den Weg verlieren - den Weg behalten ...



  3.8.2015 Montag – Äpfingen nach Steinhausen


Ich schlafe sehr gut und traumlos, so zumindest scheint es mir. Erst der Wecker reißt mich aus dem Tiefschlaf und etwas unwillig stehe ich auf. Zwar tut mir nichts weh, aber ich bin müde.
Erste Pflicht, den Hund versorgen – der heute Morgen wieder ganz munter ist -, dann Reih um ins Bad gehen. Josef ist ganz erschrocken, als wir um sieben die Treppe hinunter kommen und meint, das Frühstück sei noch nicht fertig (wir hatten mit Anne halb acht vereinbart). Ich beruhige ihn und sage, ich muss nur mit Clyde Gassi gehen – sozusagen unsere täglichen Zusatzkilometer.

Heute Morgen scheint mein Blick etwas klarer, denn jetzt erst entdecke ich all die hübschen Details des Garten und im Haus. Überall, z.B. auf Spiegeln oder alten Fenstern, Steinen und Ästen, sind motivierende Sprüche geschrieben und der Jakobsweg-Fan ist deutlich auszumachen: eine Muschel hier, ein Bild da. Und alles ist mit viel Liebe und Herzblut platziert. Anne ist einfach eine tolle Frau, denke ich …
 
Es ist ein herrlicher Morgen. Strahlend blauer Himmel, angenehme Temperatur und ich habe das Gefühl, nicht nur in meinem Knochen steckt noch ein wenig Schlaf der letzten Nacht; die Straßen sind menschenleer und mir scheint alles verträumt und friedlich.

Nach der morgendlichen Runde mit Clyde, setzen wir uns an den reichlich gedeckten Tisch. Brötchen und Aufschnitt und mindestens fünf verschiedene Sorten selbstgemachter Marmelade. Da lacht das Pilgerherz. Anne entschuldigt ihren Mann, der leider schon weg musste. Doch wir anderen, Christine und Elisabeth, Klaus, ich und Anne, sitzen gemütlich zusammen, frühstücken ausgiebig und reden. Anne ist selbst schon gepilgert und so kam ihr dann auch die Idee Pilger bei sich aufzunehmen. Zumal sie ja fast direkt am Jakobsweg wohnt. Sie erzählt, dass es zunächst gar nicht so einfach war, ihre Familie davon zu überzeugen, Fremde ins Haus zu holen. Letzten Endes hat sie sich durchgesetzt und nun freut sie sich jedes Mal, wenn die Pilger immer so einen Hauch des Camino in ihr Haus bringen. Und auch die Familie sei inzwischen überzeugt, dass die Pilger-Gäste eine Bereicherung sind.
Entsprechend lange sitzen wir dann auch und der Abschied fällt fast schwer. Ich verspreche, dass wir (Klaus, Clyde und ich) mal bei ihr vorbei kommen. Schließlich ist Laupheim ja sozusagen um die Ecke und so haben wir ein Ziel für eine sonntägliche Fahrradtour.

Um viertel vor neun schaffen wir es loszuziehen. Schon jetzt ist die aufkommende Hitze des Tages zu spüren. Und wir haben so ca. 25 Kilometer vor uns – denken wir.

Aus Äpfingen heraus, über einen Betonplattenweg ist alles noch recht gut zu finden und zu laufen. Wir überlegen ernsthaft ob wir bei der Probewanderung im Juni wirklich auch hier entlang gekommen sind. Wir sind, aber nun sieht es – vielleicht ob der fortgeschrittenen Jahreszeit – irgendwie anders aus. Vielleicht hat sich auch der Blickwinkel verändert, wer weiß.

Auf einem Schotterweg am Waldrand entlang geht es weiter. Da hier außer uns niemand ist und er sowieso nur durchgeschüttelt würde, läuft Clyde nebenher. Schnüffelt rechts und links, hebt ab und zu das Bein und ich habe den Eindruck, er ist fit und munter. Als der Weg dann in den Wald abbiegt, wird es auch angenehm kühl. Bis hier waren die Markierungen für den Jakobsweg ganz gut, doch nun merken wir schnell, dass sie spärlicher werden oder ganz fehlen. An einer Kreuzung können wir uns letztlich doch erinnern, wo wir auf der Probewanderung gelaufen sind. Waldarbeiter haben hier ‚gewütet‘ und wir vermuten, sie haben den Baum mit Muschelzeichen auch umgenietet … Wir legen für die, die nach uns kommen einen großen Pfeil mit Ästen auf den Weg und hoffen er wird gesehen.

So erreichen wir nach 5 km Laupertshausen mit seiner kleinen hübschen Kirche. Diese liegt eingerahmt von einer Mauer und wir machen eine kleine Pause, holen einen Stempel. Im Inneren ist es angenehm kühl so lasse ich es mir nicht nehmen, die Tafelbilder an der Orgelempore etwas genauer zu betrachten. Sie zeigen Geschichten vom Hl. Jakobus. Ich überlege kurz nach draußen zu gehen um meine Kamera zu holen, lasse es aber dann sein und genieße noch einen Moment der Ruhe.

Es ist schon ziemlich warm. So warm, dass Clyde ohne große Überredung etwas Wasser trinkt. Normalerweise muss man ihn unterwegs meist ‚zwingen‘. Ich glaube er hat immer Angst, dass ich weglaufe, während er trinkt und es nicht merkt…

Innerlich und äußerlich gestärkt, laufen wir weiter. Ab hier gibt es sehr viele Graswege und das Schieben von Clydes Wagen wird für Klaus beschwerlich. Zumal dieser – also der Clyde - nicht mehr laufen mag und meist in eben jenem – dem Wagen - sitzt (was 7 kg mehr Gewicht bedeutet). Auch ist dieser Abschnitt des Jakobsweges sehr schlecht ausgeschildert. Immer wieder hole ich den Pilgerführer raus und versuche anhand der Beschreibung rauszufinden, wo wir laufen müssen. Doch auch das klappt heute nicht so toll und es ist sehr anstrengend vorwärts zu kommen.
Für die anderen Pilger, die wir hinter uns wähnen, legen wir immer mal wieder Zeichen und hoffen, dass diese ihnen die Wegfindung etwas erleichtern.

In Mettenberg geht der Jakobsweg nicht direkt an der Kirche vorbei. Wir erinnern uns aber an eine wundervolle Bank im Schatten eines großen Baumes und ein kleiner ‚Brunnen‘ daneben, direkt vor der Kirchmauer und machen den Abstecher dorthin. Auf die paar Meter kommt es heute auch nicht mehr an. Ein wenig Rast, frisches Wasser und Müsliriegel, so gestärkt kann es dann auch weitergehen.

Der Weg führt nun nicht mehr so schön durch den Wald und wir sind der Sonne erbarmungslos ausgesetzt. Ich spüre, wie die weißen Flecken auf meinen Händen rot werden und verbrennen. Ich habe mal wieder vergessen mich mit Sonnencreme einzureiben und irgendwie bin ich jetzt zu faul, diese aus meinem Rucksack zu kramen... Gerne hätten wir auch mehr Pausen gemacht, aber es gibt entlang des Weges keine Bank im Schatten, die dazu eingeladen hätte.

Etwas abgekämpft erreichen wir so gegen Mittag Biberach. Ich finde dies ein hübsches kleines Städtchen mit etwas Provinzcharme. Gleichwohl ich auch weiß, dass hier große internationale  Firmen ihren Sitzt haben, was aber dem Flair keinen Abbruch tut.

Die hiesige St. Martins Kirche ist groß und hübsch, aber es gibt leider keinen Stempel. Ich denke mir, eine Stadt wie diese hat es vielleicht nicht nötig sich um die paar Jakobswegpilger zu scheren, die hier hin und wieder vorbeiwandern. Viele der kleinen Orte am Wegesrand freuen sich dagegen, durch die Pilger eine neue Bedeutung zu bekommen und lohnen dies mit offenen Kirchtüren, Bücher in denen man eine Nachricht, einen Dank oder einen Gruß hinterlassen kann und eben den Stempeln für die Pilgerpässe. Ich jedenfalls freue mich jedes Mal darüber.

Wir beschließen erstmal am Marktplatz, gegenüber der Kirche, einen Kaffee zu trinken. Pause machen. Hier treffen wir die ‚Puschmänner‘ (Maik und sein Vater aus Leipzig) und reden ein wenig. Christine und Elisabeth laufen vorbei und sie gelüstet es nach einem großen Eis. Wir alle sind uns einig, dass der heutige Weg sehr anspruchsvoll ist – nicht nur von der Beschaffenheit der Wege, auch wegen der fehlenden Beschilderung.
Ich weiß, es sind alles ehrenamtliche Helfer, die für die Markierungen entlang des Weges sorgen und ich bin sehr dankbar für diese Menschen. Doch wenn man irgendwo in der Pampa steht, es ziemlich heiß ist und man gerade 2 km Umweg gelaufen ist, ist es etwas schwierig, nicht über sie zu fluchen, dass hier kein Zeichen zu finden war …

Nun, ein großer Milchkaffee bringt die Kräfte zurück und nach gut einer Stunde Pause pilgern wir weiter. Zunächst noch ein Stück durch die Innenstadt von Biberach. An einem Supermarkt füllen wir unsere schwindenden Getränke-, Bananen- und Hundefuttervorräte auf.

Ab hier betreten wir nun gänzlich Neuland. Unsere Probewanderung hatte uns ja nur bis Biberach geführt. Und auch Klaus kennt die Gegen hier – zumindest laufenderweise - nicht wirklich.  Nachdem wir noch ein Stück durch ein Wohngebiet Biberachs gelaufen sind, führt der Weg ins Wolfental mit dem gleichnamigen Bach. Richtig schön und idyllisch. Allerdings ist es inzwischen gut 35 Grad, was das Laufen etwas beschwerlich macht. 

Doch zum Glück finden wir eine Stelle am Bach, an der zumindest Clyde baden und wir unsere Hände und Füße kühlen können. Ihm macht die Hitze am meisten zu schaffen, trotz der Sommerfrisur. 

Wir trotten vor uns hin. Durch den kleinen Ort Reute, wo die Kirche geschlossen ist, vorbei am Gasthof Hirsch, der auch geschlossen ist, weiter. Ich habe im Pilgerführer gelesen, dass Teile des vor uns liegenden Weges Feld- und Graswege sind. Es wird aber eine Alternative für Radfahrer vorgeschlagen und ohne groß zu zögern, nehmen wir die Alternative. Diese ist eine asphaltierte, wenig befahrene, kleine Straße, die meist im Schatten von großen Bäumen über Voggenreute in Kurven Richtung Grodt führt. Hier treffen wir dann auch wieder auf den Jakobsweg.

Der führt zunächst durch den Ort und zur Bartholomäuskapelle. Ein schlichtes kleines Gotteshaus, doch es gibt einen Stempel, und das Kühle und ruhige im Inneren ist Balsam für die Seele. Wir rasten im Schatten des Kircheneingangs und Clyde genießt die kühlen Betonfliesen. Auch können wir am Wasserhahn unsere Vorräte nebst Clydes Schüssel auffüllen und über das sehr skurille Haus gegenüber philosophieren. Es scheint es hat sich jemand geirrt, als er es an diesem Fleckchen Erde gebaut hat. Aber vielleicht gerade deswegen steht es nun da, wer weiß…
 
Elisabeth und Christine kommen und wir plaudern kurz, wandern dann mehr oder weniger zu viert weiter. Bis Muttensweiler nehmen wir wieder den JW, werfen dort einen kurzen Blick in die St. Jakobus Kirche und beschließen für den Rest dann doch wieder den Radweg zu nehmen. Zum Schieben des Wagens durch Feld und Flur fehlt jetzt am späten Nachmittag einfach die Motivation und Kraft.
Der letzte Abschnitt bis Steinhausen zieht sich. Der Radweg führt an der recht befahrenen Straße entlang. Der Asphalt brennt unter den Fußsohlen. Und irgendwie sind wir alle etwas genervt.
Ich denke weder viel noch ernsthaft, sondern bin einfach froh als bald die Kirchturmspitze des heutigen Etappenzieles in Sicht kommt.

In Steinhausen gehen Elisabeth und Christine gleich zur Unterkunft, Klaus und ich schauen uns noch die Kirche an. Sie ist als ‚Die schönste Dorfkirche der Welt‘ deklariert – und wirklich, sie ist beeindrucken. Von außen wie von innen. Drinnen halte ich einen Moment inne und versuche ruhig zu werden, die Anspannung des Tages loszulassen. Doch so recht will mir das nicht gelingen und ich kann die Schönheit nicht genießen, ich bin einfach ko. Die schlichte kleine Kapelle in Grodt hat mir mehr Ruhe gebracht, als diese überreichlich verzierte Wallfahrtskirche. Da Klaus schon für jeden von uns eine Kerze angezündet hat, nehme ich für jeden einen Schutzengel in Form einer kleinen Karte mit. Den kann man immer brauchen.

Vor der Kirche treffen wir noch Maik und seinen Vater. Sie sind auf dem Weg zurück nach Muttensweiler, zum Essen. Denn die beiden einzigen Lokale hier im Ort haben am gleichen Tag Ruhetag – Toll.

Unsere Unterkunft heute ist eine FeWo bei Fam. Rutka. Als wir klingeln, öffnet die Tochter und zeigt uns das 1-Zimmer-Appartment. Es kommt mir vor wie ein Paradies, so froh bin ich anzukommen. Nett eingerichtet in hellem Holz und angenehmen Farben. Rucksack runter, Schuhe aus.
Mein linker Fuß tut weh – genau genommen eine Stelle oberhalb der Ferse. Meine Schuhe sind ja schon ziemlich gut eingelaufen und noch nie hatte ich hier eine Druckstelle. Doch nun habe ich sie. Entweder durch den Socken – was ich mir nicht vorstellen kann, denn auch die sind erprobt – oder weil meine Füße in der Wärme angeschwollen sind. Zum Glück habe ich ja noch ein paar Sandalen dabei, die ich dann am Abend anziehen kann.

Frau Rutka kommt kurze Zeit später um noch die Formalitäten zu klären. Sie bietet uns an, am Morgen Brötchen vor die Tür zu stellen, was wir gerne annehmen. Auch sagt sie, alles was im Kühlschrank ist, darf aufgebraucht werden. Da es heute, wie erwähnt, in Steinhausen kein offenes Lokal mehr gibt, hat Frau Rutka uns für das Abendessen Spaghetti und Soße, nebst einem Salat in die Küche gestellt.

Nachdem ich geduscht habe und mich wieder einigermaßen fit fühle, koche ich und da das Wetter ja immer noch schön ist, essen wir draußen.
Später gesellen sich die Elisabeth und Christine dazu, die auch hier übernachten und wir sitzen bis nach zehn im lauen Sommerabend und reden über Gott und die Welt und unsere Leben. Ganz im Sinne des Camino, sehr persönlich und intensiv. Auch das gehört für mich zum Jakobsweg.

Beim Einschlafen denke ich: Wir sollen irgendwann noch mal hierherkommen und uns die Kirche in aller Ruhe anschauen. So als Ausflügler, mit frischem Kopf und wachen Augen…

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