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Dienstag, 18. August 2015

Den Anfang wagen ...



1.8.15. Samstag. Ulm – Oberdischingen

Nachdem meine erste Woche Pilgern ausgefallen ist, geht es jetzt endlich los. Naja, noch nicht ganz. Der Tag beginnt erstmal mit dem Klingeln des Weckers um 5.30 Uhr. Ich schaffe es auch gleich aufzustehen. Klaus und Clyde dagegen bleiben liegen. Sie scheinen noch etwas müde. Ich bin gut gelaunt und freue mich auf die kommenden Tage. Ein Blick aus dem Fenster trübt die Stimmung dann allerdings etwas. Das Wetter verheißt nichts wirklich Gutes. In der Nacht hat es angefangen zu regnen und es nieselt immer noch. Aber die hatten doch gar keinen Regen vorhergesagt? Ist einfach kein Verlass mehr auf die Wetterfrösche. - Nun, egal, wie es ist, wir gehen.

Aber erstmal Kaffee, Clydes Frühstück machen und dann, als er sich aus dem Bett bequemt, mit ihm Gassi gehen und zum Bäcker.



Klaus steht endlich auch auf und schon scheint es wieder hektisch zu werden. Chaosgefühl. Er hat ja seinen Rucksack gestern schon gepackt, jetzt zieht er alles wieder raus und fängt nochmal von vorne an. Nun, mir geht es nicht viel besser. Nochmal überlegen, was brauche ich wirklich und was nicht. Der Einzige, der schon ‚fertig‘ ist, ist Clyde. Damit alles dabei ist, was er benötigt, habe ich seine Sachen schon am Abend sorgfältig gepackt. Und damit wir ihn selbst in der Hektik dann nicht etwa zuhause lassen, steht er mir die ganze Zeit unter den Füssen und im Weg.
Doch irgendwann ist es geschafft, die Rucksäcke sind zu. Mir scheint Klaus Rucksack voller als meiner und ich überlege, ob ich etwas vergessen habe. Aber das könnte auch daran liegen, dass er gefühlt drei Großpackungen Müsliriegel dabei hat. Er befürchtet wohl zu verhungern …

Sieghard (Klaus Vater) ist überpünktlich um 7:45 Uhr da. Klaus hatte ihm eingebläut ja nicht zu spät zu kommen. Ich wäre fertig, Klaus noch nicht ganz. Trotzdem schaffen wir es, fast zur geplanten Uhrzeit loszukommen und sind um kurz nach acht auf dem Weg. Das heißt erstmal auf der Straße. Wir wollen zu unserem Ausgangspunkt Ulm, ca. 20 min Autofahrt.

Es regnet immer noch als wir am Parkplatz an den Schulen ankommen. Wir sind gestern Abend nochmal hergefahren um zu schauen, wo wir nun loslaufen. Klar, normalerweise wäre es das Ulmer Münster, zentral gelegen. Aber da es ab dort im Prinzip nur an Hauptstraßen durch die Stadt und ein Wohngebiet geht, haben wir beschlossen uns das Stück zu sparen. Gleich am Stadtrand, auf einem großen Parkplatz, hatten wir dann ein Muschelzeichen entdeckt und dies als gutes Zeichen für einen Start befunden.
Nun stehen wir auf dem Parkplatz und laden aus. Ein paar große Bäume bieten einigermaßen Schutz vor dem Nieselregen. Hoffentlich hört es bald auf. Es hat zwar den Vorteil, dass es nicht allzu warm ist, aber im Regen laufen macht einfach nicht so viel Spaß.
Sieghard wartet noch ein wenig, bis Klaus den Wagen für Clyde zusammengebaut hat, da er sehen möchte, wie dieser dann aussieht. Das ist auch gut so, denn wir stellen fest: es fehlt ein Teil. Und das ist nicht ganz unerheblich, der ‚Bügel‘ zum Schieben. Wir haben ihn in der Hektik des morgendlichen Zusammenpackens auf der Garderobe liegen lassen. Mist!

Die zwei Herren fahren also nochmal zurück nach Laupheim, Clyde und ich warten derweil bei den Rucksäcken. Ich höre mich denken: ‚Nun, einen Vorteil hat es, wenn alles was schief gehen könnte gleich am Anfang passiert, dann haben wir vielleicht wenigstens den Rest der Woche Ruhe.‘ – Da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedanken … Ich nutze die Zeit und mache mir schon mal ein paar erste Notizen. Auch schicke ich ein kleines Bittgebet gen Himmel, dass es aufhört zu regnen. Doch, meine Beziehung nach oben ist einfach nicht besonders gut und so hört mir da wohl keiner zu oder die schlafen noch. Jedenfalls nieselt es weiter. Ich ziehe die Schutzhüllen über die Rucksäcke und lege eine große schwarze Mülltüte über Clydes Wagen, die wir später mit Hilfe einer Sicherheitsnadel notdürftig befestigen.

Nach ca. dreißig sehr schnellen Minuten – die waren ziemlich flott unterwegs - kommen Klaus und sein Vater wieder … mit Bügel. Gut. Dieser ist dann auch schnell montiert und dem lospilgern steht nun nichts mehr im Wege. Im wahrsten Sinne des Wortes: Los geht es!

Clyde darf erstmal noch ein bisschen selbst laufen und ist ganz aufgeregt. Er schnüffelt mal rechts mal links, bleibt stehen und hebt das Bein. Na so kommen wir heute nicht sehr weit. Auch regnet es noch immer leicht und wir beschließen, er darf erstmal bisschen in seinen Wagen.
Wir sind damit beschäftigt, die Rucksäcke nochmal ein wenig nachzustellen. Ein Ziehen hier, ein Lockern da … es dauert immer eine Weile, bis ich dann das Gefühl habe es passt.
Klaus schiebt den Wagen, ich laufe mit meinen Stöcken nebenher. Der Weg ist recht gut markiert und wir haben keine Schwierigkeiten, die Zeichen zu finden.

Der erste Ort durch den wir kommen ist Grimmelfingen. Hier holen wir uns auch den ersten Stempel dieser Pilgerreise – Nomen es Omen, in der Jakobuskirche. Man mag nun davon halten, was man will, also das mit der ‚Stempelei‘. Ich persönlich finde es schön, eine Erinnerung an den Verlauf der Reise in Form der verschiedenen Stempel zu haben. Wir überlegen, wir hätten doch am Ulmer Münster anfangen sollen, um hier den Anfangsstempel zu holen. Aber nun ist es eh zu später und wenn wir den wirklich wollen, können wir den immer noch holen. Wir laufen weiter.

Hinter Einsingen wird es dann interessant. Bisher hatten wir kleine Asphaltstraßen und mehr oder weniger gepflasterte Wege. Nun führt der Jakobsweg hinaus aufs Feld und auf einen Grasweg. Wenn man nur einfach so zu Fuß unterwegs ist, ist das ja kein größeres Problem. Aber ob Clydes Wagen das dann so mitmacht? Wie ist es mit dem Schieben auf Schotter und/oder Gras? Klaus müht sich tapfer und es klappt auch ganz gut, der ‚Ferrari‘ scheint nicht nur sportlich, sondern auch geländegängig zu sein. Clyde darf wieder selbst laufen, da hier absolut keine Autos – oder irgendeine Menschenseele - unterwegs sind. Er ist fit und ich glaube ihn freut das nass-kühle Wetter.

Es läuft (sich) gut und wir sind positiv gestimmt, obwohl es immer noch regnet. Mal stärker, mal schwächer. Doch noch drückt kein Schuh, die Wege sind passierbar und ausreichend Markierungen vorhanden.

Dieser – also der Weg – führt uns oberhalb des Donautals entlang. Immer wieder hat man einen tollen Blick über eben jenes. Allerdings da auch auf ein riesiges Industriegebiet mit großen Hallen und Schornsteinen. Irgendwie schafft es der Mensch immer, der ihn umgebenden Natur seinen Stempel aufzudrücken. Pilgernderweise fallen mir diese Dinge viel mehr auf, als wenn ich in einem Auto sitze und aus Fenster schauend daran vorbeirase. Wohl auch - oder gerade weil - die Geschwindigkeit nun wieder auf Schrittlänge reduziert ist. In der Hektik des Alltags vergesse ich oft, dass die Langsamkeit mir meine Umgebung viel detaillierter zeigt und vor allem meinen Gedanken Zeit lässt, dem Auge zu folgen

Vor Erbach fängt es dann an zu schütten. Wir überlegen kurz, die Regenponchos rauszuholen, aber irgendwie bin ich eh schon nass und dann wird es darunter nur dämpfig. Der Wind frischt stark auf und es wird richtig unangenehm. Zum Glück ist es nicht so kalt das macht es hinnehmbar. Und der Weg ist hier asphaltiert, bzw. geschottert. Clyde haben wir wieder in seinen Wagen verfrachtet, damit er einigermaßen trocken bleibt. Es passt ihm nicht wirklich, da er durch die Abdeckung nicht rausschauen kann.

Wir machen immer mal wieder Halt, wenn wir einen großen Baum finden, unter dem es einigermaßen trocken ist. Am Ortseingang von Erbach, bei einem Schulzentrum, finden wir ein großes Bushaltestellenhäuschen, das mit zwei Bänken geradezu einlädt zu verweilen. Wir überlegen, dass wir doch erstmal ganz gepflegt einen Kaffee trinken gehen könnten. Dem Wetter trotzend die Stirn bieten. Gesagt getan. Klaus kennt sich in dieser Gegend recht gut aus und weiß, wo wir eine entsprechende Lokalität finden. Nichts wie hin. 100 m die Hauptstraße hinunter, kaum 50 m abweichend vom Jakobsweg, ist das Eiscafé Petrini und es gibt draußen trockene Stühle unter Schirmen. Bei mir alter Kaffeetante wirkt der braune Trank immer Wunder und motiviert.

Die Motivation können wir dann auch gleich gut brauchen, denn beim Weitergehen lässt das nächste Hindernis nicht lange auf sich warten: Treppen. Und wir sehen keine Möglichkeit diese zu umgehen. Also ackert Klaus mühsam, bis der Wagen oben ist. Dann einen Rad- bzw. Fußweg weiter hinaufschieben bis zum Schlossberg. Belohnt wird die Anstrengung mit einem wundervollen Blick auf Erbach und Umgebung – und es hört tatsächlich auf zu regnen! Endlich. Und da die Luft nicht so kalt ist, trocknet dann doch alles recht schnell ab.
Wir werfen noch einen Blick in die St. Martins Kirche und stempeln unseren Pilgerpass.

Clyde darf jetzt auch wieder selbst laufen. Er wiegt zwar nur ca. 7,5 kg, aber diese machen sich beim Schieben durchaus bemerkbar. Beim Durchwandern eines Ortes allerdings bewährt sich der Wagen sehr gut. Clyde stört es (meist) nicht, er ist gut aufgehoben und wir müssen nicht ständig aufpassen, dass er auf die Straße rennt oder einer Katze hinterherjagt.

Oberhalb des Friedhofes von Erbach ist eine tolle Bank mit herrlicher Aussicht auf das Donautal und einen Stausee. Perfekt für eine Pause. Wir stärken uns mit den mitgebrachten Broten.

Im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein geht es weiter zur Maria-Hilf-Kapelle. Diese unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen kleinen Kapellen, die es überall im Ländle gibt. 
Doch vor der Kapelle gibt es eine Besonderheit: das „Gruabbänkle“. Urschwäbisch und netterweise gleich mit Erklärung: «Zu Zeiten, als man die Wege noch zu Fuß erledigte und die Lasten dabei auf dem Rücken oder auf dem Kopf trug, boten spezielle Ruhebänke einen beliebten Rastplatz zum Ausruhen (auf schwäbisch ‚gruaba‘). Auf einer hohen Stufe konnte die Last abgestellt und beim Weitergehen ohne allzu große Anstrengung wieder gut aufgenommen werden. Schon im Jahre 1849 ist der Name ‚Gruabbänkle‘ für die benachbarte Maria-Hilf-Kapelle verwendet worden.» 
Ich teste das gleich mal aus und stelle fest, ist sehr praktisch für den Rucksack!

Von hier sind es nur noch sechs Kilometer bis Oberdischingen. Das Etappenziel rückt näher. Kurz vor Donaurieden sind wir uns dann auch sicher, dass es nun endgültig Schluss ist mit dem Regen und ziehen die Capes von den Rucksäcken und decken den Wagen ab. Wir hatten zum Schutz ja einfach einen großen Müllsack darüber gelegt. Wenig Aufwand aber effektiv.

Der Endspurt nach Oberdischingen zieht sich noch ein wenig. Die ungewöhnliche Last auf dem Rücken und die heute gut 21 zurückgelegten Kilometer machen sich langsam bemerkbar. Wir sind froh, als der hübsche kleine Ort in Sichtweite kommt.
Bei einer früheren Spazierfahrt mit dem Auto waren wir schon einmal hier und der Ort faszinierte mich gleich. Zum einen natürlich die Herrengasse (die Hauptstraße), die rechts und links von einer hübschen Häuserzeile begrenzt wird. Diese sind im französischen Mansard-Stil erhalten und geben dem Ganzen ein barockes Flair. Und dann natürlich die Kirche, die mit ihrem Kuppelbau so gar nicht in diese Gegend passt . Später erzählt mir Julia von der Pilgerherberge, dass die Kuppel wohl dem Pantheon in Rom nachempfunden sei. Ich gehe hinein und es ist auf jeden Fall ein toller Anblick - nur in der Erinnerung, nicht auf einem Foto Chip, speicherbar. Ich stehe eine Weile ganz still und staune. Ich bin ja nun wirklich kein großer Kirchgänger, dennoch mag ich die Gebäude an sich. Sie sind für mich eine Art Oase der Ruhe in der Hektik und dem Lärm der Welt. Es scheint, dort ist das Draußen nicht mehr wichtig und für ein paar Momente hält die Zeit an ...

Zum Cursillo-Haus, in dem auch die Pilgerherberge ist, geht es nochmal einen steilen Berg hoch, der aber locker zu bewältigen scheint, mit dem Ziel vor Augen. Dies ist eine der sehr wenigen Herbergen, die Hunde akzeptieren. Allerdings sollte man vorher reservieren, da es im Prinzip nur ein Zimmer gibt, das hierfür zur Verfügung steht. Da ich, zwecks eines Lesungs-Vortrages, den ich hier im Winter halten werde, schon eine Weile Kontakt zu Julia – die Hausleiterin – hatte, sind wir angemeldet.
Mit ein Grund, warum wir in Ulm unseren Wege begonnen haben, ist, dass ich gerne hier in der Pilgerherberge übernachten wollte. Auch um Klaus – der ja ein kompletter Neuling in der Pilgergemeinschaft ist - ein wenig von dem Pilgerfeeling zu zeigen. Auf unserem weiteren Weg sind die Unterkünfte ganz anderer Art. Ob besser oder schlechter wird sich dann herausstellen.

Wir werden herzlich empfangen und bekommen das (Hunde-)Zimmer im Nebenhaus zugeteilt. Drei Betten – die frisch bezogen sehr einladend aussehen -, ein Schrank und in einer Ecke ein Waschbecken.
Das übliche Procedere nach Ankunft am Etappenziel beginnt und ich staune, wie schnell ich mich darin wieder ‚zuhause‘ fühle. Erstmal duschen (die Dusche ist hier unterm Dach in einem Bad mit Caminokacheln an den Wänden), Unterwäsche und Shirts auswaschen und ein bisschen chillen.
Nachdem ich Clyde gefüttert habe (er ist eher ein schlechter Esser, aber das Pilgern heute scheint ihn hungrig gemacht zu haben – er isst alles restlos auf) und mit ihm noch einen kleinen Verdauungsspaziergang gemacht habe, gehen wir etwas später wieder zum Haupthaus hinüber.

Zu meiner großen Freude treffen wir vier anderer Pilgerinnen, die auch heute in Ulm gestartet sind. Beim Abendessen (es gibt Salat, reichlich Brot und Aufschnitt und allerlei dazu) sitzen wir zusammen. Wieder dieses ‚nach Hause kommen‘-Gefühl bei den Gesprächen. Ich merke, zumindest der Anfang, hat sich in den letzten Jahren nicht geändert: Wo kommst Du her, wo bist Du losgelaufen, wie weit wirst Du gehen? So sitzen wir dann noch lange und quatschen. Reden auch über Motivation und Wege, über vergangene Pilgerreisen und mein Buch.

Clyde ist ziemlich müde, kommt aber nicht so recht dazu sich auszuruhen. Julia hat ihren Hund Keno mitgebracht und der möchte natürlich nicht unbedingt einen Eindringling in seinem Revier haben. Doch nach einer Weile kehrt auch hier eine Ruhe ein. Die zwei werden wohl keine dicken Freunde werden, aber ein eingeschränktes Nebeneinander geht.

Gegen 21 Uhr ist allgemeiner Aufbruch und auch wir verziehen uns in unser Zimmer. Müde aber ganz glücklich falle ich ins Bett und bin bald im Land der Träume abgetaucht.

Fazit des heutigen Tages: Die Pilgertaufe (im Regen wandern) haben wir gut und mit Humor überstanden; es sind keine Blasen oder sonstige Blessuren zu vermelden; der ‚Ferrari‘ scheint geländegängig zu sein und Clyde ist fit und in der Lage gut mitzuhalten …. und ich bin gedanklich schon meilenweit vom Alltag entfernt und auf dem Weg angekommen!


Fortsetzung folgt …

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