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Montag, 24. August 2015

weg sein ...



5.8.15 – Mittwoch; Bad Waldsee nach Weingarten

»Der Weg verleugnet sich häufig selber, um dem Reisenden anzuspornen herauszufinden, was sich hinter der nächsten Kurve befindet.« (Paolo Coelho)

Ich habe ganz gut geschlafen und als um 06:00 Uhr der Wecker klingelt, kann ich leicht aufstehen. Klaus kriegt nicht gleich die Kurve. Die Mücken- und Bremsenstiche haben ihn in der Nacht ziemlich schlimm gejuckt (und wach gehalten) und das Mittel, das wir eben gegen den Juckreiz dabei haben, juckt das gar nicht; mit anderen Worten: es hilft wenig.

Nachdem ich im Bad war, mache ich Clyde sein Frühstück, das er heute ganz und gar aufisst, und laufe mit ihm Gassi. Er möchte aber gar nicht so wirklich laufen. Das liegt nicht etwa daran, dass er genug vom Laufen hätte. Nein, aber wenn wir unterwegs sind und nicht ‚sein ganzes Rudel‘ um ihn ist – vor allem eben in ungewohnter Umgebung – dann entfernt er sich nicht gerne vom Standort, sprich Hotel (oder Auto etc.) ... Kleiner Angsthase eben … Nun wenigstens besteht auch nicht Gefahr, dass er wegläuft.

Wir packen alles zusammen. Bevor ich meine Schuhe anziehe, ‚tape‘ ich meine Zehen mit Pflaster, das ich gestern in der Apotheke gekauft habe. Zwar tun die Blasen nicht weh, aber ich möchte doch vermeiden, dass es eventuell unangenehm zum Laufen wird.

Klaus bastelt immer wieder daran herum, wie er die Tasche in Clydes Wagen besser befestigen könnte. Die Wege sind teilweise ja doch etwas anspruchsvoll. Das Gerüttel und Geschüttel dieser unebenen Wege tut das seinige und die Tasche rutscht hin und her. Es funktioniert inzwischen ganz gut, aber Klaus meint: beim nächsten Mal machen wir das ganz anders! Höre ich da etwa heraus, dass ihn diese Art des Reisens gefällt und wir das mal widerholen?

Nach einem sehr reichhaltigen Frühstück sieht die Welt schon wieder richtig gut aus.  Wir packen, zahlen, ziehen los. Zunächst allerdings erstmal nochmal zur Apotheke. Klaus möchte sich etwas gegen den Juckreiz, der ihn die Nachtruhe gekostet hat, besorgen. Clyde und ich warten derweil an der großen Kirche. Die Luft ist noch richtig schön so am Morgen. Frisch und angenehm.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Klaus wieder. Die Dame in der Apotheke hat ihn sehr ausführlich beraten. So ausführlich, dass er irgendwann fast verwirrt war. Letztlich hat er sich für ein Homöopathisches Mittel entschieden, Ledum D6 Globuli. Na, ich bin gespannt, ob die bei ihm wirken. Ich persönlich glaube durchaus an die Wirkung dieser Mittel. Clyde z.B. bekommt auch welche, wenn er besonders aufgeregt ist. Doch in diesem Fall … nun, ich denke mir, schaden kann es nicht und nehme auch welche. Von der Hitze habe ich an der Hüfte einen leichten Ausschlag bekommen, der etwas juckt.

Gegen neun Uhr geht es dann endlich los und ziemlich gleich mit einer Hürde: mal wieder Treppen. Es ist ja noch früh am Morgen und Klaus meint heroisch: Das geht! Just in dem Moment als Klaus schon anfangen will, den Ferrari die Stufen hochzuhieven, spricht uns ein Mann, der mit seinem Jungen vorbeikommt, an,. „Sie können auch hier die Straße hochlaufen und dort oben rechts kommen Sie auch an die Kapelle.“ Wir bedanken uns. Das erspart uns bzw. Klaus eine Kraftanstrengung gleich am Morgen.
Oben angekommen, machen wir erst einen kurzen Abstecher in die Frauenbergkapelle, dann zur Esso Tankstelle (ich muss sehr dringend meinen Morgenkaffee loswerden).
 
Aus Bad Waldsee hinaus ist der Jakobsweg gut gekennzeichnet. Und bald laufen wir durch Wald und Flur. Breite geschotterte Waldwege machen das Vorwärtskommen leicht. Klaus ‚Taschentechnik‘ ist inzwischen ganz gut ausgereift und Clyde hat mehr Platz im Wagen; wobei er erstmal noch ein bisschen selbst läuft.

Die erste Häusergruppe, Arisheim, ist relativ schnell erreicht. Der breite Waldweg führt uns aus dem Wald heraus und daran entlang. Die Gegend hier sieht so richtig nach Allgäu aus (das ja nicht weit weg ist): weite Felder, dazwischen Kuhweiden, vereinzelte Bauernhöfe und alles ein bisschen hügelig. Am Ortsausgang treffen wir unverhofft auf eine kleine Pilgerkapelle. Wir halten einen Moment inne. Der Platz ist sehr schön mit Bänken und Tischen, aber leider in der prallen Sonne ohne Schatten. Doch wir lassen es uns nicht nehmen, den Stempel in unserem Pilgerpass zu verewigen und ich hinterlasse eine Notiz im ‚Gästebuch‘.

Im weiteren Verlauf führt der Jakobsweg an einem Sträßchen entlang. Wir sind am Diskutieren. Das heißt Klaus erzählt mir etwas, aber irgendwie bin ich dafür heute überhaupt nicht zugänglich.
Auf dieser Reise bin ich ja nicht allein unterwegs, was, wie ich schon festgestellt habe, durchaus Vorteile hat: z.B. machen wir mehr Pausen, ich kann mich über Erlebtes austauschen usw. Aber ich gebe zu, ich habe auch Momente – so wie eben jetzt - da sehne ich mich nach der Einsamkeit meiner Pilgerreise in 2011 zurück. Einfach mal ohne reden, nur mit mir und meinen Gedanken, vor mich hin trotten. Ich werde etwas ungehalten ... Tja, das müssen wir wohl noch lernen, wenn wir auch weiterhin zusammen Pilgerreisen unternehmen wollen...

Vor lauter Genervt-sein, biegen wir falsch ab, was uns einen Umweg von gut zwei bis drei Kilometern bringt; allerdings auch eine geeignete Stelle für eine Pinkelpause.
Schlechte Laune dauert bei mir nie lange an. Ich habe meine ‚5 Minuten‘ und vergesse dann was war, beruhige mich schnell wieder. So auch heute. Zu schön ist das Wetter und das Laufen.

 Am Ortseingang von Gwigg, bietet uns eine ältere Frau, die gerade vor ihrem Haus steht, an, unsere Wasserflaschen zu füllen. Wie fast jeder befragt auch sie uns, zu Clydes Wagen, dem Hund etc. Und sie stellt sicher, dass wir auch seine Schüssel mit frischen Wasser füllen.
Nachdem wir eine Weile mit ihr geplaudert haben, pilgern wir weiter in Richtung Kirche. Wir treffen Marion und Sonja und gehen ein Stück zusammen.
Dieser Abschnitt ist nicht so schön, führt er uns doch an einer Straße entlang. Der Asphalt ist heiß und strahlt diese Wärme, zur sowieso schon herrschenden Hitze, ab. Sonja und Marion machen bald eine Pause, wir laufen weiter. Wir sehnen uns nach einer Bank im Schatten am Waldrand.

Und siehe da, nachdem wir den Ort Engenreute und ein Zeltlager von ‚Raubrittern‘ (die uns aber gänzlich in Ruhe lassen, da wir wohl nicht wie Wegelagerer aussehen) passiert haben, werden wir am Waldrand im Schatten fündig. Etwas trinken, essen, Clyde ruht sich aus.

Als wir gerade wieder aufbrechen kommen die zwei anderen und belegen die Bank. Wir ziehen weiter. Clyde ist müde und hat keine Lust zu laufen. Wenn er in den Wagen einsteigen will, zeigt er dies deutlich. Er folgt Klaus penetrant auf den Fersen, riskiert sich einen Nasenstupser zu holen, bis Klaus anhält und er einsteigen kann. Immer nach dem Motto: Besser schlecht gefahren, als gut gelaufen!

Der Weg führt nun wieder in den Wald und hier wird es, was die Wegführung angeht auch wieder spannend.  Plötzlich sind partout keine Wegweiser mehr zu finden. Die Beschreibungen im Pilgerführer verwirren eher, als dass sie helfen. Z.B. wir eine Hütte erwähnt. Wir finden auch eine, stelle aber später fest, als wir noch eine Hütte finden , dass war sie gar nicht. Und ständig ist von Querwegen die Rede. Nur ist irgendwie jedes Mal etwas anderes gemeint, mal eine Gabelung, mal eine Kreuzung; der beschriebene Waldsee ist wohl inzwischen ausgetrocknet und auf der ‚Lichtung‘ steht heuer ein Maisfeld ...

Der Tag ist nicht nur heiß – selbst hier im Wald - sondern auch irgendwie zäh. Durch die schlechte Beschilderung, müssen wir ständig stehenbleiben und den Weg suchen, raten wo es lang geht. Das drückt ein wenig die Stimmung und zehrt an den Nerven.

Wir laufen bestimmt ein bis zwei Kilometer extra, als wir einen Weg einschlagen, uns dann nicht mehr sicher sind ob es stimmt, ihn wieder zurück gehen um dann zu beschließen: der könnte es doch sein – und die anderen Wegen stimmen gefühlsmäßig irgendwie auch nicht.
Der Weg war der richtige. An einer Hütte machen wir Pause und nach kurzer Zeit kommen die vier anderen Pilger, die wir nun schon gut kennen. Wir gehen zu sechst weiter.

Jetzt wird der Weg richtig „nett“. Zwar gibt es wieder ausreichend Beschilderungen, aber dafür sind die Wege eher ausgewaschene Bachläufe und es geht entweder steil hoch oder runter. Klaus hat seine Nöte mit dem Ferrari, zumal sich Clyde strikt weigert auszusteigen. Zum Glück hat es in den letzten Tagen nicht geregnet und der Boden ist fast überall trocken. Nicht auszudenken, wie es ist, wenn hier noch alles matschig wäre.

Irgendwie pfeifen wir alle aus dem letzten Loch; vor allem der Mangel an Rastplätzen und Möglichkeiten, Wasser nachfüllen, macht uns zu schaffen.
Nach einem weiteren Anstieg empfängt uns der Ort Köpfingen mit dem Schild des Gasthauses Frohe Aussicht, dass ausdrücklich Pilger willkommen heißt. Wir atmen auf.
Doch als wir die Gaststätte erreichen, ist die Enttäuschung groß, denn eine Tafel am Eingang verkündet: Mittwoch Ruhetag. Allgemeines Aufstöhnen. Oh nein! Und ich hatte mich so auf ein eiskaltes Cola gefreut. Wir beschließen trotzdem in dem schattigen Biergarten eine Pause einzulegen. Ich laufe ums Haus um zu schauen, ob es wenigstens irgendwo einen Wasserhahn gibt. Es gibt keinen. Und nach Weingarten sind es noch gut 3 km.

Doch so oder so tut die Pause gut und bald brechen wir wieder auf. 
Christine und Elisabeth ziehen als erste weiter. Marion und Sonja wollen versuchen den Hofladen zu finden (wir hatten am Orteingang ein Schild für einen eben solchen gesehen), um ihre Getränkevorräte aufzufüllen. Sonja geht es wohl nicht so gut. Leider verlieren wir die zwei hier dann aus den Augen und wir fragen uns später, ob sie wohl aufgegeben haben?
 
Klaus, Clyde und ich gehen auch weiter. Eine Werbetafel für einen Getränkehandel zwei Straßen weiter lässt hoffen. Doch auch hier finden wir nur geschlossene Türen. Wir stellen fest, es handelt sich um eine ‚Besenwirtschaft‘. Hier hätte man Apfelmost erstehen können, der ja eh nix für mich ist. Es sieht auch so aus, als ob keiner zuhause ist. Überhaupt ist der ganze Ort wie ausgestorben. Nun, dann pilgern wir eben weiter. Am Ortsausgang sieht Klaus an einem Haus einen Wasserhahn. Keiner ist da, den wir fragen könnten, so füllen wir zwei Wasserflaschen ungefragt – und ohne schlechtes Gewissen - auf.

Dann wieder mal ein Grasweg, der uns in Richtung Weingarten führt. Wir können es schon unten im Tal liegen sehen. Ich finde es immer recht motivierend, das Etappenziel in Sichtweite zu haben. Kurz bevor wir dann in die Stadt hinunter gehen, machen wir nochmal eine kleine Pause. Unsere Laune ist gut, wir freuen uns, dass wir es bald geschafft haben. Aber Klaus ist etwas ko. Das Schieben von Clydes Wagen ist doch sehr anstrengend. Auch Clyde legt sich sofort in die Wiese und macht die Augen zu. Ich suche derweil die Unterlagen bzw. Adresse des Hotels raus, wo wir heute übernachten werden. 

Etwas über der Stadt thront die große Klosteranlage mit Basilika. Diese besichtigen wir noch kurz. Sie ist wirklich schön, aber wir sind nicht mehr so richtig aufnahmefähig. Wir beschließen, auch hier nochmal irgendwann herzukommen um die Basilika in aller Ruhe anzuschauen.


Wir finden noch eine Tafel mit dem Hinweis, das Santiago von hier aus 2400 km sein soll. Hm. Klaus meint, das ist seltsam, denn wir haben heute schon Schilder gesehen, da waren die Angaben deutlich unter 2000. Sind wir rückwärts gelaufen? Nein, es liegt wohl eher daran, welchen Weg nach Santiago man läuft. Es gibt ja inzwischen ziemlich viele Möglichkeiten. Nun, für heute nehmen wir die kürzeste gesehene Entfernung (1983 km). Das gibt uns ein Gefühl von Vorwärtskommen.
Auf dem Weg zur Unterkunft, finden wir in der Innenstadt ein Kaufland Supermarkt und Klaus geht hinein um ein Sixpack Apfelsaftschorle zu kaufen. Immer nur pures Wasser ist auf Dauer bisschen langweilig …

Am Ende der Fußgängerzone finden wir dann auch den Gasthof Waldhorn. Endlich. Doch dann der nächste Schock: Ein großes Schild an der Hauswand: Wir haben Betriebsferien. Argh! Ich hatte doch extra reserviert. Da hat keiner was von Betriebsferien gesagt … Doch ein weiterer Blick zeigt das etwas kleiner geschriebene Schild darunter: das Hotel ist geöffnet, Eingang um die Ecke! - Und wieder stehen wir vor einer verschlossenen Tür. An dieser wieder ein Schild, man soll, wenn man denn reserviert hat, eine Handynummer anrufen. Ich wähle die Nummer. Nix. Ich versuche es zweimal, dreimal. Nix. 
Na wenigstens stehen hier Bänke und Tische und Klaus hat es sich da erstmal bequem gemacht. Nach einer gefühlten Ewigkeit dann ein Rückruf. Die nette Dame erklärt mir, neben dem Eingang sei ein kleiner Safe. Ich bekomme den Code, und darin der Schlüssel mit meinem Namen und einer Zimmernummer. Nichts wie rein.
Wir sind freuen uns, als wir endlich im Zimmer sind. Erstmal Rucksack runter und Schuhe aus. Dann die ersehnte Dusche. Ein frisches Shirt anziehen und schon sieht die Welt wieder bunt aus.

Etwas später machen wir uns auf die Suche nach etwas Essbarem und gehen wir wieder durch die Innenstadt. Vorhin war hier wesentlich mehr los. Und da waren doch auch noch viel mehr Restaurants, oder? Letztlich finden wir noch ein griechisches Lokal, dass einen Biergarten hat. Der Abend ist sommerlich warm und wir möchten unbedingt draußen sitzen. Wenn ich so unterwegs bin, also immer draußen, mag ich nach einer Weile gar nicht mehr drinnen sein. Zum Schlafen, ja das ist okay, aber ansonsten beklemmen mich geschlossene Räume dann fast.
Das Essen ist so naja, aber es macht satt. Christine und Elisabeth laufen vorbei und wir plaudern noch einen Moment. Sie übernachten im Rössle (ich hatte dort auch angefragt, aber die nehmen keine Hunde). Sie haben auch dort gegessen und es sei richtig gut gewesen. Wenn wir das gewusst hätten. Aber wenn man sich nicht auskennt, ist es in einer fremden Stadt eben schwieriger ein gutes Restaurant zu finden.
Auf dem Rückweg zu unseren Unterkünften machen wir noch an der Eisdiele Halt und gönnen uns einen schönen großen Eisbecher.

Später, kurz bevor ich dann einschlafe, denke ich noch: Im Gegensatz zu meiner großen Pilgerreise 2011, bei der es gut 2 – 3 Wochen dauerte, bis ich so richtig auf dem Weg angekommen bin, bin ich diesmal schon nach diesen wenigen Tagen ganz und gar auf dem Weg. Kein Fernsehen oder Radio, im Prinzip kein Kontakt zu Zuhause, lenkt ab. Es interessiert mich auch nicht wirklich was so passiert. Wichtig ist es, einen Fuß vor den anderen zu setzen, den Weg zu finden und ihm zu folgen, Wasser Nachschub besorgen und essen. Mehr nicht. Ich bin ganz und gar angekommen im ‚weg sein‘.

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